Daniel Pipes gehört zu jenen Autoren, die der Attentäter von Oslo in seinem Manifest zitiert. Im Interview nimmt er Stellung zu den Vorwürfen gegen ihn und zur Radikalisierung der islamkritischen Szene.
zenith: Herr Pipes, was war Ihre erste Reaktion, als Sie erfahren mussten, dass Anders Behring Breivik, der Mann der in Norwegen über 70 Menschen ermordet hat, nicht nur ein Leser Ihrer Artikel, Essays und Kommentare war, sondern Sie sogar auch noch in seinem Manifest erwähnte?
Daniel Pipes: Ich war geschockt. Es wäre mir niemals in den Sinn gekommen, dass jemand für die Rechtfertigung eines Massenmordes einen Autor erwähnt, der sich innerhalb des moderaten konservativen Spektrums bewegt. Bisher bin ich davon ausgegangen, dass sich so ein Verhalten auf extremistische Kreise begrenzt.
Sind Sie der Überzeugung, dass islamkritische oder islamophobe politische Milieu im Westen trägt eine indirekte Verantwortung für das Blutbad von Oslo, weil man die zu beobachtende Radikalisierung in den eigenen Reihen, welche sich bisher meist verbal äußerte, zu lange ignoriert oder verharmlost hat?
Niemand innerhalb der islamkritischen Szene hat jemals solche Haltung ermutigt oder in irgendeiner Weise inspiriert.
Schaut man in die Kommentarspalten gewisser islamfeindlicher Webblogs, in Europa und den USA, kann man bisweilen einen gegenteiligen Eindruck gewinnen.
Wenn wir in der islamkritischen Szene eines aus dem schrecklichen Ereignis lernen müssen, was wir bisher vielleicht zu wenig beachtet haben, dann das Folgende: Wir dürfen gegen unsere politischen Gegner opponieren, sie aber nicht diffamieren.
Von Viktor Klemperer stammt das Zitat: »Worte können wie winzige Arsendosen sein: Sie werden unbemerkt verschluckt; sie scheinen keine Wirkung zu tun – und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da!« Würden Sie dieser Aussage zustimmen?
Es gibt nichts Wichtigeres als Ideen. Ich schreibe und publiziere, um meine Ideen und Standpunkte in den Prozess einzubinden, welcher zur Stärkung und Verteidigung von Freiheit und Zivilisation führt.
Der Attentäter von Norwegen war bis 2007 Mitglied der rechtspopulistischen und islamkritischen Fortschrittspartei in Norwegen, einer Partei, die sich bis vor dem Terroranschlag – laut Umfragen – bei etwa 25 Prozent in der Wählergunst bewegte. Welche Auswirkungen könnte dieses Ereignis auf die politische Landschaft Europas haben?
Noch ist es zu früh, darüber zu spekulieren. Es könnte natürlich sein, dass konservatives und islamkritisches Gedankengut durch den Anschlag, beziehungsweise die politischen Statements des Attentäters, diskreditiert werden, sowie zeitweise an Zustimmung verlieren. Es kann aber auch sein, dass die politische Linke, bei ihrer Kampagne gegen eben dieses Gedankengut, übertreibt oder zu weit geht, und sich dadurch selbst diskreditiert. Langfristig sehe ich allerdings keine dramatischen politischen Verschiebungen, oder gar ein Verstummen islamkritischer Stimmen, denn die anhaltende Islamisierung Europas bleibt ein großes Problem.
Gehen solche Projekte nicht eher von Saudi-Arabien, denn von den muslimischen Immigranten aus?
Ja, die Finanzierung durch Saudi-Arabien bleibt ein Schlüsselfaktor, neben anderen Quellen – von Teheran bis zu lokalen religiösen Vereinigungen.
Wäre es deshalb nicht wichtiger, sich mit diesem Themengebiet öffentlich intensiver auseinanderzusetzen, anstatt immer neue, leicht entzündbare Debatten über muslimische Migration zu initiieren, welche bisher nichts erreicht haben, außer ein Anwachsen der Ressentiments – eben gegenüber diesen Einwanderern?
Den Vorwurf können Sie mir nicht machen. Mit Saudi-Arabien setze ich mich schon seit Jahrzehnten auseinander, wie beispielsweise in meinem 1983 erschienenem Buch »In the Path of God«. Ferner ist Saudi-Arabien kein enger Verbündeter der USA, sondern ein taktischer Verbündeter, wie es Stalins UdSSR während des Zweiten Weltkrieges war. Die Werte und Ziele Saudi-Arabiens unterscheiden sich grundlegend von denen der US-Regierung. Selbst wenn Saudi-Arabien die finanzielle Unterstützung einstellt, würde die Islamisierung sich trotzdem fortsetzen. Saudisches Geld und die saudische Diplomatie sind wichtige Unterstützer, daran besteht kein Zweifel, aber nicht die einzige Grundlage. Was Sie »leicht entzündbare Debatten« nennen, welche bisher angeblich nichts erreicht haben, sehe ich aus einem anderen Blickwinkel.
Aus welchem?
Es handelt sich um wichtige Diskussionen, welche notwendig sind, um unsere Werte zu erhalten. Wenn Sie unsere Art zu leben zu schätzen wissen, sollten Sie sich daran beteiligen, um die Islamisierung zu verhindern.
Kommen wir noch einmal auf das Attentat von Oslo zu sprechen. Gehen Sie davon aus, dass Anders Behring Breivik moderaten Islamkritikern schaden wollte, indem er diese in seinem Manifest erwähnte?
Breivik könnte durchaus gewollt haben, dass diesen im Manifest erwähnten Islam-Analytikern Schaden zugefügt wird. Mich nennt er einen »Moderaten«, was offensichtlich nicht als Kompliment gemeint ist, und attestiert selbst den härtesten Islamkritikern, ihnen fehle es an Mut. Über die Ermordung unschuldiger Menschen hinaus hat Breivik den Konservativen, der Jihad-Bekämpfung und insbesondere den in seinen Schriften zitierten Autoren – darunter auch mir – geschadet. Wer sein Manifest eingehend liest, könnte folgern, dass dies Absicht war.
Wurden durch die Bluttat Ihre eigenen politischen Überzeugungen herausgefordert?
Nein. Breivik gehört zu dieser Denkschule, die den Islam für das größte Übel auf Erden hält, wie man seinen Schriften entnehmen kann. Diese Haltung unterscheidet sich fundamental von meiner eigenen. Für mich galt und gilt: Der radikale Islam ist das Problem, der moderate Islam ist die Lösung.