Der gesellschaftliche Nährboden des militanten Islamismus, so war nach dem 11. September oft zu hören, sind Armut und wirtschaftliche Hoffnungslosigkeit. Das führt, so die These, zu gesellschaftlicher Radikalisierung und letzlich in den Terrorismus. Die fanatische Gewaltbereitschaft und Abwendung vom Westen, die in vielen moslemischen Ländern zwischen Marokko und Indonesien zu beobachten ist, kann demnach am wirksamsten durch Wirtschafts- und Entwicklungshilfe verhindert werden.
Daniel Pipes, Direktor des Middle East Forum in Philadelphia und Kolumnist bei New York Post und Jerusalem Post, ist ein entschiedener Gegner dieser Argumentation. Er bezeichnet den postulierten Zusammenhang von wirtschaftlicher Krise und Terrorismus als unhaltbar. Es gibt keine Verbindung zwischen Armut und militantem Islam, und zwar weder auf der individuellen Ebene noch auf der gesellschaftlichen Ebene."
Pipes fordert neue außen- und sicherheitspolitische Konzepte. Entwicklungshilfe ist demnach kein Instrument der Selbstverteidigung mehr, mit dem Terrorismus vereitelt werden kann. Aus zwei Gründen lehnt der Historiker Entwicklungshilfe als Außenpolitik ab: Zunächst habe sich die Auslandshilfe bislang noch nie als effektives Mittel herausgestellt, um eine ökonomische Entwicklung voranzutreiben, nicht einmal der Marshall-Plan", wie Pipes mit Nachdruck feststellt. Wichtiger aber sei etwas anderes: Das Problem geht viel tiefer als Armut. Das Problem ist ein Gefühl des Versagens, welches nicht durch eine Geldinfusion beseitigt werden kann".
Mit einem Blick auf militante Terroristen wie die Flugzeugentführer vom 11. September, aber auch auf die Zentralfigur Osama bin Laden, belegt Pipes seine These. Diese Individuen sind wohlhabend. Sie haben trotzdem ein Gefühl des Versagens. Es geht hier um zivilisatorisches Versagen und nicht um individuelle Armut." Die Motivation dieser Feinde Amerikas führt Pipes nicht auf eine soziökonomische Krisensituation gebeutelter Bevölkerungsmassen, sondern vielmehr auf Identifikationen und Weltanschauungen zurück.
Wenn es überhaupt einen Zusammenhang von Wirtschaft und Islamismus gebe, so sagt er, dann genau umgekehrt: Einerseits hat sich im Irak in der jüngeren Vergangenheit – trotz eines beinahe vollständigen Zusammenbruchs des Lebensstandards – kein militanter Islam herausgeschält. Andererseits entwickelte sich in Libyen, Saudi-Arabien oder Iran in den 70er Jahren eine starke militant-islamistische Strömung, als diese drei Länder gerade ein außergewöhnliches Wirtschaftswachstum erreichten.
Vor diesem Hintergrund lehnt Pipes Entwicklungshilfe als etwas Kontraproduktives ab: Alles, was sie erreicht, ist es, die Islamisten reicher zu machen und ihnen mehr Geld für Waffen zur Verfügung zu stellen." Davon nimmt er zwei Fälle aus: Humanitäre Kriseneinsätze oder wenn eine Regierung sich die Gefolgschaft einer anderen erkaufen möchte.
Statt entwicklungspolitischer Mutmaßungen fordert er, dass sich die Politik ihren Gegner genau definiert. Amerikas Feind ist der militante Islam." Um diesen Gegner zu besiegen, gibt es mehrere Wege. In Afghanistan und auf den Philippinen den militärischen, in Ländern wie Saudi-Arabien und Pakistan den diplomatischen. Und innerhalb westlicher Gesellschaften könne man auf rechtliche und politische Mechanismen vertrauen, um den militanten Islam zu zerstören.
Um die Dringlichkeit deutlich zu machen, zieht der Nahost-Experte Parallelen zwischen Islamismus und anderen Totalitarismen. Der militante Islam ist eine totalitäre Ideologie, die potenziell genauso gefährlich ist wie der Faschismus oder der Marxismus-Leninismus". Im Zweiten Weltkrieg kämpften die USA und ihre Alliierten gegen deutsche, italienische und japanische Faschisten. Im Kalten Krieg setzten Amerika und die NATO auf Abschreckung verschiedener, von Moskau gesteuerter Spielarten des Marxismus-Leninismus. Nun sei es also Zeit für einen Kampf gegen den militanten Islam in seiner afghanischen, iranischen, sudanesischen und anderen Ausprägungen."
Nach dem 11. September wurde in den USA rasch die Frage gestellt: Warum wir?" Nach Pipes Einschätzung kann man dies leicht beantworten, denn jede totalitäre Ideologie ziele auf Amerika. Wir sind wirtschaftlich riesig, militärisch mächtig und kulturell einflussreich", sagt er.
Hinzu kommt die freiheitliche und demokratische Verfassung, die Marktwirtschaft, die große Toleranz und Weltoffenheit Amerikas. Kurz: Alles an uns stört die Totalitären." Deshalb also kommt es zur symbolischen Agitation aufgebrachter Islamisten, aber auch zu Gewaltakten islamischer Terroristen gegen alles Amerikanische. Sie wenden sich mit der Theorie gegen Amerika, dass die Vereinigten Staaten ihre Heimatländer beherrschen", erklärt der Nahostexperte. Nach der radikalislamischen Lehre sind Staatschefs wie Mubarak, Ecevit oder Ben Ali nichts anderes als Marionetten der USA. Militante Islamisten ziehen es vor, nicht die Puppen zu bekämpfen, sondern die Strippenzieher.
Der radikale Islam beherrscht zwar derzeit die öffentlichen Debatten. Aber immer wieder wird seine Brisanz relativiert: Denn radikale Spielarten des Islam sind nur eine Minderheit in der islamischen Weltbevölkerung. Dem stimmt auch Pipes zu, der selbst drei Jahre in Ägypten studiert hat. Doch gleichzeitig erhebt er Einspruch. Pipes schätzt, dass die militante Strömung zehn bis 15 Prozent der moslemischen Welt ausmache. Das entspricht 100 bis 150 Millionen Menschen. Dies ist eine gesellschaftliche Kraft totalitärer und gewaltbereiter Feinde, die Amerika nicht unterschätzen sollte.
Zwei Visionen des Islam prallen aufeinander
Nach den Angriffen auf das World Trade Center war gerade aus linken Kreisen zu vernehmen, dass der Terror ein Preis für Unterlassungen der amerikanischen Außenpolitik sei. Auf solche Äußerungen reagiert Pipes schroff: Das ist einfach dumm". Relevante Fehler in der amerikanischen Politik habe es nur bei der Gefahrenvorbeugung gegeben. Denn das Phänomen des terrorbereiten Islam ist nicht erst in den letzten Jahren aufgetaucht. Schon vor zehn, vielleicht sogar zwanzig Jahren war es allgemein bekannt. Inzwischen sind 23 Jahre seit der Besetzung der US-Botschaft in Teheran vergangen, die heute wie ein Auftakt zum aktuellen Konflikt wirkt. Pipes kritisiert den amerikanischen Umgang mit der drohenden Gefahr: Für mich ist es frustrierend gewesen, dass Amerika zwei Jahrzehnte gebraucht hat, um aufzuwachen." Vieles hätte man schon seit langer Zeit zum eigenen Schutz tun können.
Doch die Terroranschläge, so sagt Pipes, hängen nicht mit den Details amerikanischer Außenpolitik zusammen. Es geht um etwas viel Allgemeineres. Es geht darum, wer wir sind. Wir können die Feindschaft des militanten Islam ebenso wenig verhindern wie einst die Feindseligkeit von Nazi-Deutschland oder Sowjetrussland", sagt Pipes. Denn der Islamismus verfolgt keine pragmatische Politik, sondern eine radikale Weltanschauung. Er schafft Feindbilder, um sich als überlegene Vision darzustellen – eine Art sozialpsychologischer Projektion. Es geht um ein tiefschürfendes Gefühl von Frustration und Zorn, um ein Gefühl des Versagens, welches auf die Vereinigten Staaten gerichtet wird".
Den oft zitierten Zusammenprall der Zivilisationen sieht Pipes allerdings so nicht. Er wertet den Konflikt als die Auseinandersetzung zwischen zwei Visionen des Islam. Die Religion ist gespalten in einen radikalen, militanten, aggressiven und totalitären Teil und einen moderaten und modernen Widerpart.
Derzeit ist die radikale Variante tonangebend und sorgt für die globale Krise. Eine solche Krise fordert überzeugtes Eingreifen. Denn für Pipes steht fest, wie die Mission dieses Krieges gegen den Terror lauten muss: Es ist unser Ziel, den militanten Islam zu besiegen und ihn durch einen Islam zu ersetzen, mit dem wir alle leben können."