Warum agiert die türkische Regierung derart aggressiv gegen das Regime Assad in Syrien?
Vielleicht hofft Premierminister Recep Tayyip Erdoğan, dass nach Syrien geschickte Artilleriegranaten helfen werden in Damaskus eine Satellitenregierung an die Macht zu bringen. Vielleicht erwartet er, dass ein türkisches Kampfflugzeug in den syrischen Luftraum zu schicken oder ein syrisches Zivilflugzeug auf dem Weg von Russland nach Syrien zur Landung zu zwingen ihm im Westen Gunst verschafft und die NATO in den Konflikt holt. Möglicherweise ist das alles auch nur eine große Ablenkung von der wegen zu vieler Kreditaufnahmen drohenden Wirtschaftskrise.
Türkische und syrische Minister trafen sich 2009 an einem Grenzübergang und beseitigten die Teilung zwischen ihren Ländern. |
Im November begann 2002 ein neues Zeitalter, als Erdoğans AKP, eine clevere islamistische Partei, die Terrorismus oder Tiraden zu einem globalen Kalifat vermeidet, die Mitte-Rechts und -Links-Parteien ablöste, die in Ankara lange vorgeherrscht hatten. Durch kompetentes Regieren und die Beaufsichtigung eines beispiellosen Wirtschaftsbooms, wuchs der Wähleranteil der AKP von einem Drittel im Jahr 2002 bis zum Jahr 2011 auf die Hälfte an. Sie war auf dem direkten Weg Erdoğans mutmaßliches Ziel Atatürks Revolution rückgängig zu machen und die Scharia in die Türkei zu bringen.
Die AKP gab - vom Hafer gestochen - Washingtons Schutzschirm auf und zog auf einem unabhängigen, neo-ottomanischen Kurs los, der das Ziel hatte eine Regionalmacht wie in vergangenen Jahrhunderten zu sein. In Bezug auf Syrien hieß das die Jahrzehnte alten Feindseligkeiten zu beenden und über gute Handels- und sonstige Beziehungen Einfluss zu gewinnen; symbolisiert wurde das durch gemeinsame Militärmanöver, gemeinsame Urlaube von Erdoğan und Bashar al-Assad sowie einen Schwarm ihrer Minister, die buchstäblich die Sperre aufhoben, die ihre gemeinsame Grenze blockierte.
Im Januar 2011 begannen diese Pläne sich aufzulösen, als das syrische Volk aus vierzig Jahren Assad-Despotismus erwachte und - anfangs gewaltlos, dann gewalttätig - für den Sturz ihres Tyrannen zu agitieren begannen. Erdoğan bot Bashar al-Assad anfangs konstruktiven politischen Rat an, den dieser zugunsten gewalttätiger Repression zurückwies. Der Sunnit Erdoğan prangerte als Reaktion darauf den Alawiten Assad emotional an und begann den weitgehend sunnitischen Rebellenkräften zu helfen. Während der Konflikt skrupelloser, sektiererischer und islamistischer wurde und sich praktisch in einen sunnitisch-alawitischen Krieg mit 30.000 Toten, einem Vielfachen an Verletzten und noch mehr Heimatvertriebener verwandelte, wurden für die Rebellen die türkische Zuflucht und Hilfe unentbehrlich.
Was anfangs wie ein Geniestreich aussah, wendete sich in Erdoğans ersten großen Fehltritt. Die absonderlichen Verschwörungstheorien, die er nutzte, um die militärische Führung ins Gefängnis zu stecken und einzuschüchtern, hinterließ ihm eine weniger als effektive Streitmacht. Nicht willkommene syrische Flüchtlinge drängten in türkische Grenzstädte und darüber hinaus. Die Türken sind in überwältigender Zahl gegen die Kriegspolitik vis-à-vis Syrien; Opposition kommt besonders von den Alewiten, einer religiösen Gemeinschaft, die 15 bis 20 Prozent der türkischen Bevölkerung ausmachen; sie unterscheiden sich von den syrischen Alawiten, teilen mit ihnen aber ein gemeinsames schiitisches Erbe. Assad nahm Rache, indem er die Unterstützung für die PKK wiederbelebte, deren eskalierende Gewalt für Erdoğan ein bedeutendes innenpolitisches Problem darstellt. In der Tat könnten die Kurden - die ihre Chance nicht bekamen, als der Nahe Osten nach dem Ersten Weltkrieg verteilt wurde - die großen Gewinner der derzeitigen Feindseligkeiten sein; zum ersten Mal kann man sich die Umrisse eines kurdischen Staates mit türkischen, syrischen, irakischen und sogar iranischen Bestandteilen vorstellen.
Damaskus hat immer noch einen großen, mächtigen Schirmherrn in Moskau, wo die Regierung von Wladimir Putin Hilfe per Bewaffnung und UNO-Vetos bietet. Dazu profitiert Assad von großzügiger, brutaler Hilfe aus dem Iran, die trotz der großen wirtschaftlichen Probleme der Mullahs fortgesetzt wird. Im Gegensatz dazu mag Ankara formell immer noch zur NATO gehören und das theoretische Privileg von deren berühmtem Artikel 5 genießen, der verspricht, dass ein militärischer Angriff auf ein Mitgliedsland zu "notwenigem Handeln … einschließlich des Einsatzes bewaffneter Kräfte" führen wird, doch die Schwergewichte der NATO zeigen keine Absicht in Syrien einzugreifen.
Vitaly Tschurkin, der russische Botschafter, legt im UNO-Sicherheitsrat gegen einen Resolutionsentwurf ein Veto ein. |
Ein Jahrzehnt Erfolg stieg Erdoğan zu Kopf und verleiteten ihn zu einem syrisch-missgeschicklichen Abenteuer, das seine Popularität untergraben könnte. Er könnte noch aus seinen Fehlern lernen und einen Rückzieher machen, doch der Padischah von Ankara verstärkt seinen Jihad gegen das Regime Assad und drängt hart auf dessen Zusammenbruch und seine eigene Rettung.
Um meine Frage vom Anfang zu beantworten: Die türkische Kampflust ist in erster Linie das Ergebnis der Ambitionen und des Ego eines einzelnen Mannes. Die westlichen Staaten sollten sich komplett von ihm fern halten und ihn sich in seiner eigenen Schlinge fangen lassen.