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Die Architekten der Osloer Friedensabkommen verstanden Jerusalems Sprengraft. Sie fürchteten, alleine schon eine Diskussion über die Zukunft der heiligen Stadt, solange die weniger explosiven Fragen nicht gelöst sind, könne die zerbrechliche Waffenruhe zwischen Israelis und Palästinensern zur Detonation bringen. Sie versuchten dieses Thema deshalb bis zum Schluß aufzuschieben. Aber es gelang ihnen nicht: Zur Eröffnung eines neuen Eingangs zu einem alten Tunnel im vorigen September gab es Aufstände, und jetzt hat der Bau von Wohnungen auf einem leeren Gelände in Ostjerusalem die Verhandlungen zum Stillstand gebracht. Da nun klar wird, daß der Kampf um Jerusalem nicht warten wird, muß sich die Weltöffentlichkeit mit den gegeneinander stehenden Ansprüchen auseinandersetzen, die von Juden und Muslimen auf die Stadt erhoben werden, in die König David vor drei Jahrtausenden einzog.
Wer das tut, der bekommt natürlich die relativierenden Klischees zu hören, die da sagen, daß Jerusalem "beiden Völkern heilig" sei, womit gemeint ist, daß jüdische und islamische Ansprüche auf Jerusalem den gleichen Rang hätten. Aber das stimmt nicht. Jerusalem ist die religiöse Stätte des Judentums schlechthin, ein so heiliger Ort, daß nicht nur der Boden, sondern sogar die Luft als geweiht gilt. Juden beten in seine Richtung, nennen im Gebet immerfort seinen Namen, schließen den Pessachgottesdienst mit der Wunschformel "Nächstes Jahr in Jerusalem", und gedenken der Stadt in den Segenssprüchen nach der Mahlzeit.
Wie steht es um die Rolle Jerusalems im Islam? Seine Bedeutung verblaßt neben Mekka und Medina, den Zwillingsstädten, wo Mohammed lebte, und wo die großen Ereignisse der islamischen Geschichte stattfanden. Jerusalem ist nicht der Ort, dem Muslime sich beim Gebet zuwenden, es wird im Koran und auch in Gebeten nicht namentlich erwähnt, und es steht ein keiner direkten Verbindung zu Ereignissen in Mohammeds Leben. Die Stadt wurde nie ein Kulturzentrum und diente nie als Hauptstadt eines souveränen muslimischen Staates. Jerusalem hat die Muslime in den letzten 13 Jahrhunderten nur zeitweilig interessiert, und wenn dem so war, so wie heute, dann hatte dies politische Gründe. Wenn Jerusalem zu nichts mehr nütze ist, kühlen sich die Leidenschaften ab, und Jerusalems Status sinkt wieder.
Im Jahre 622 n.Chr. floh der Prophet Mohammed aus seiner Heimatstadt Mekka nach Medina, einer Stadt mit einer bedeutenden jüdischen Einwohnerschaft. Bei seinem Eintreffen, vielleicht auch schon früher, übernahm er eine Anzahl judenfreundlicher Praktiken, so ein Fasten wie am Jom Kippur, ein synagogenähnliches Gebetshaus, und Speiseregeln in der Art der koscheren Ernährung. Mohammed übernahm auch die jüdische Gewohnheit, sich beim Gebet dem Tempelberg zuzuwenden. "Er wählte des Heilige Haus in Jerusalem, um die Gunst des Volkes des Buches [d.h. der Juden] zu gewinnen," schreibt At-Tabari, ein früher muslimischer Korankommentator, "und die Juden freuten sich." Moderne Historiker stimmen dem zu: W. Montgomery Watt, ein führender Mohammed-Biograph erklärt die "weitreichenden Zugeständnisse an jüdische Gefühle" als einen Teil seines "Wunsches, mit den Juden im Einklang zu sein."
Muslime bekommen religiöses Interesse an Jerusalem, weil es ihnen politisch nützt. Wenn das politische Klima sich wandelt, läßt ihr Interesse wieder nach.
Aber Juden kritisierten den neuen Glauben und wiesen Mohammeds Gesten zurück. Damit brachten sie Mohammed schließlich dazu, mit ihnen zu brechen, wahrscheinlich im Frühjahr 624. Das dramatischste Zeichen dieser Veränderung kam in Form eines Koranabschnittes (2:142-52), der die Gläubigen anweist, nicht länger nach Syrien, sondern stattdessen nach Mekka gerichtet zu beten. (Der Koran und andere Quellen bezeichnen die Richtung nur als "Syrien"; andere Informationen machen klar, daß mit "Syrien" Jerusalem gemeint ist.)
Diese Episode war Anfang eines Musters, das sich in den darauffolgenden Jahrhunderten viele Male wiederholen sollte: Muslime bekommen religiöses Interesse an Jerusalem, weil es ihnen politisch nützt. Wenn das politische Klima sich wandelt, läßt ihr Interesse wieder nach.
In dem Jahrhundert nach Mohammeds Tod veranlaßten politischen Gründe die in Damaskus residierende Omaijaden-Dynastie, die über Jerusalem herrschte, die Stadt zu einer islamischen heiligen Stätte zu machen. In heftige Auseinandersetzungen mit einem gegnerischen Führer in Mekka verwickelt, wollten die Omaijadenherrscher Arabien zugunsten Jerusalems auf einen niedrigeren Rang herabstufen. Sie förderten eine Literaturgattung, die die "Tugenden Jerusalems" besang und verbreiteten Berichte über Worte und Taten des Propheten (Hadithe genannt), die für Jerusalem vorteilhaft waren. Von 688 bis 691 bauten sie das erste große Bauwerk des Islam, den Felsendom, oben auf die Überbleibsel des jüdischen Tempels.
Im Jahre 715 bauten die Omaijaden Jerusalem nachträglich in den Koran ein.
Eine besonders feinsinnige und komplizierte Maßnahme war, daß sie den Koran neu interpretierten, um darin Raum für Jerusalem zu schaffen. Im Koran (17,2) heißt es, in einer Schilderung von Mohammeds nächtlicher Reise (Isra'): "[Gott] bringt seinen Knecht [d.h. Mohammed] des Nachts von der Heiligen Moschee zu der Fernen Moschee." Als diese Koranpassage erstmals offenbart wurde, etwa um 621, gab es einen Platz mit der Bezeichnung Heilige Moschee. Dagegen war die "Ferne Moschee" eine Redewendung, aber kein Ort. Einige frühe Muslime verstanden sie als Metapher oder als einen Ort im Himmel. Und wenn es eine "Ferne Moschee" auf Erden gegeben hätte, dann wäre Palästina dafür kein wahrscheinlicher Ort gewesen, da diese Gegend an anderer Stelle im Koran (30,1) "das nächstgelegene Land" (adna al-ard) genannt wird.
Aber im Jahre 715 bauten die Omaijaden eine Moschee in Jerusalem, wieder direkt auf dem Tempelberg, und nannten sie die "Ferne Moschee" (al-masdschid al-aksa, oder Al-Aksa-Moschee). Dadurch bauten die Omaijaden nicht nur Jerusalem nachträglich in den Koran ein, sondern gaben der Stadt auch in Mohammeds Leben nachträglich eine besondere Rolle. Denn wenn die "Ferne Moschee" in Jerusalem ist, dann fanden Mohammeds Nachtreise und seine anschließende Himmelfahrt (mi'radsch) auch auf dem Tempelberg statt.
Aber wie immer spielte Jerusalem nur solange eine theologische Rolle, wie es auch politisch eine Rolle spielte. Als die Omaijaden-Dynastie 750 zusammenbrach geriet Jerusalem fast in Vergessenheit. In den darauffolgenden dreieinhalb Jahrhunderten ließ die Beliebtheit der Bücher nach, die die Stadt priesen. Man hörte nicht nur auf, prächtige Bauwerke zu errichten, sondern es verfielen auch die, die es gab. (Der Felsendom stürzte 1016 zusammen.) "Gelehrte Männer gibt es wenige, Christen viele", klagt ein in Jerusalem gebürtiger Muslim des zehnten Jahrhunderts. In Habgier und achtloser Gleichgültigkeit, wie F. E. Peters von der New York University sagt, ließen die Herrscher der neuen Dynastie Jerusalem und sein Umland ausbluten.
Im frühen zehnten Jahrhundert, stellt Peters fest, war das muslimische Regime über Jerusalem von fast nachlässiger Art, ohne besondere politische Bedeutung. Dieser nahezu gleichgültigen Haltung entsprechend rief die Eroberung der Stadt durch die Kreuzfahrer 1099 anfangs nur eine milde muslimische Antwort hervor: "Man findet weder Schockiertheit noch ein Gefühl von Verlust oder Demütigung in religiöser Hinsicht" stellt Emmanuel Sivan von der Hebrew University fest, der Fachman für diesen Zeitraum ist.
Erst als die Absichten, Jerusalem zurückzugewinnen, um 1150 ernsthaft wurden, begannen muslimische Führer die Bedeutung Jerusalems für den Islam zu betonen. Wieder erschienen Hadithe über die Heiligkeit Jerusalems und Bücher über "Jerusalems Tugenden". Ein Hadith legt Mohammed die Aussage in den Mund, daß es, abgesehen von seinem Tod, die zweitgrößte Katastrophe wäre, die dem Islam bevorstünde, daß Jerusalem in die Hand der Ungläubigen fiele.
Als Jerusalem aber nach Saladins Rückeroberung wieder fest in muslimischer Hand war, fiel das Interesse an der Stadt so weit, daß einer der Enkel Saladins sie 1229 an Kaiser Friedrich II abtrat, als Gegenleistung für die Zusage deutscher Militärhilfe gegen seinen Bruder, einen rivalisierenden König. Zu sehen, daß Jerusalem wieder in Christenhand war, erregte aufs neue starke muslimische Gefühle. 1244 war die Stadt infolgedessen wieder unter muslimischer Herrschaft. Die hier wirksame Psychologie verdient Beachtung: Daß christliche Ritter aus fernen Ländern herbeireisten, um Jerusalem zu ihrer Hauptstadt zu machen, verlieh der Stadt auch in den Augen der Muslime größeren Wert. "Es war eine Stadt, die von den Feinden des Glaubens hochbegehrt war, und damit wurde sie, sozusagen spiegelbildlich, den Muslimherzen teuer." sagt Sivan.
Die Stadt fiel dann für fast acht Jahrhunderte in ihre vorherige Bedeutungslosigkeit zurück. Ihre gesamte Bevölkerung umfaßte zeitweise nur erbärmliche viertausend Seelen. Die Heligtümer des Tempelberges waren sich selbst überlassen und dienten als Steinbruch. Unter der Herrschaft der Ottomanen (1516-1917) wurde Jerusalem zu einer würdelosen Steuerpfründe für auswärtige Beamte, die nur ein Jahr dort zubrachten und daher sehr habgierig waren. Die Steuerbücher führen Seife als einziges Ausfuhrprodukt der Stadt. 1611 findet George Sandys: "Vieles liegt verwüstet; die alten Bauwerke (bis auf wenige) sind Ruinen, die neuen sind unbedeutend." Gustave Flaubert, bekannt durch "Madame Bovary", kam 1850 hierher und fand "überall Ruinen". Mark Twain schrieb 1867, Jerusalem "hat all seine einstige Größe verloren und ist ein armseliges Dorf geworden".
Kein ausländischer arabischer Führer kam zwischen 1948 und 1967 nach Jerusalem. In der Neuzeit wurde Jerusalem, so der israelische Gelehrte Hava Lazarus-Yafeh, "erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Brennpunkt religiöser und politischer arabischer Aktivität, und dies nur wegen neuer jüdischer Aktivität in der Stadt, und wegen der Ansprüche des Judentums auf die Klagemauer". Die britische Herrschaft über die Stadt, die von 1917 bis 1948 dauerte, erregte die muslimische Leidenschaft für Jerusalem weiter. Der Palästinenserführer und Mufti von Jerusalem Hadsch Amin el-Husseini stellte den Tempelberg in den Mittelpunkt seiner antizionistischen Bemühungen, beispielsweise beschaffte er aus der Arabischen Welt Geldmittel zur Wiederherstellung des Felsendoms. Arabische Politiker machten Jerusalem zu ihrem bevorzugten Reiseziel; zum Beispiel kamen irakische Führer regelmäßig hierher, wo sie demonstrativ in der Al-Aksa beteten und mitreißende Reden hielten.
Aber als die Muslime die Altstadt mit ihren islamischen Heiligtümern 1948 wieder einnahmen, verloren sie rasch das Interesse daran. Es gab eine anfängliche Aufregung, was sich darin zeigte, daß der koptische Bischof König Abdallah im November desselben Jahres zum "König von Jerusalem" krönte, aber dann setzte die übliche Langeweile wieder ein. Die Haschemiten hatten keine besonderen Gefühle für Jerusalem, wo einige ihrer entschiedensten Feinde lebten, und wo Abdallah selbst 1951 erschossen wurde. Tatsache ist, daß die Haschemiten gemeinsame Anstrengungen unternahmen, um die Bedeutung Heiligen Stadt zugunsten ihrer Hauptstadt Amman herabzumindern. Jerusalem hatte als britische Verwaltungshauptstadt gedient, nun aber wurden dort alle Regierungsbüros, bis auf die für den Tourismus, geschlossen. Die Jordanier schlossen auch einige Einrichtungen, (z.B. das Arabische Hochkomitee) und verlagerten andere (die Kasse des palästinensischen Waqf, der religiösen Stiftung) nach Amman.
Sie hatten Erfolg damit. Jerusalem wurde wieder zu einer abgeschiedenen Provinzstadt, jetzt sogar noch unbedeutender als Nablus. Die Wirtschaft stagnierte und viele Tausende verließen das arabische Jerusalem. Während sich die Bevölkerung von Amman in der Zeit von 1948-67 verfünffachte, wuchs die von Jerusalem gerade um 50 Prozent. Amman wurde als Sitz der ersten Universität des Landes ausgewählt, wie auch als Sitz der zahlreichen Residenzen der königlichen Familie. Vielleicht am beleidigendsten war, daß der jordanische Rundfunk die Freitagsgebete nicht aus der Al-Aksa-Moschee übertrug, sondern aus einer Moschee in Amman.
Mit dieser Geringschätzung Jerusalems war Jordanien nicht alleine. Die Stadt verschwand praktisch von der arabischen diplomatischen Landkarte. Kein ausländischer arabischer Führer kam zwischen 1948 und 1967 nach Jerusalem; sogar König Hussein kam nur selten.
König Faisal von Saudiarabien sprach nach 1967 oft von seinem Verlangen, in Jerusalem zu beten, aber er scheint nie die Gelegenheit dazu wahrgenommen zu haben, als er sie noch hatte. Vielleicht am bemerkenswertesten ist, daß das Gründungsdokument der PLO, der Palästinensische Nationalkonvent von 1964, Jerusalem nicht ein einziges Mal erwähnt.
All das änderte sich abrupt nach dem Juni 1967, als die Altstadt unter israelische Herrschaft gelangt war. Wie schon in der britischen Periode machten die Palästinenser Jerusalem wieder zum Mittelpunkt ihres politischen Programms. Überall tauchten Bilder des Felsendomes auf, von Yassir Arafats Büro bis zum Laden an der Ecke. Die Verfassung der PLO von 1968 nannte Jerusalem den "Sitz der Palästinensischen Berfreiungsorganisation".
Mit ihrem erneuerten Interesse standen die Palästinenser nicht alleine da. "Wie in der Kreuzritterzeit," so Lazarus-Yafeh, begannen viele Muslimführer wieder damit, die Heiligkeit Jerusalems in der islamischen Tradition zu betonen, und holten sogar verstaubte alte Hadithe hervor, um ihre Ansprüche zu untermauern. Jerusalem wurde zum Dauerthema der Resolutionen der Arabischen Liga und der vereinten Nationen. Die vormals geizigen Regierungen von Jordanien und Saudiarabien zahlten nun nun reichlich an den Waqf von Jerusalem.
Wie schon unter dem britischen Mandat, so ist Jerusalem seit 1967 wieder das wichtigste Zugpferd zur Mobilisierung des internationalen muslimischen Interesses geworden. 1969 bot ein Feuer in der Al-Aksa-Moschee Faisal den Anlaß, fünfundzwanzig islamische Staatsmänner zu versammeln und die Islamische Konferenz zu gründen, eine UN für Muslime. Der höchste schiitische Würdenträger des Libanon spricht immer wieder über das Thema der befreiung Jerusalems, um seine Gefolgschaft zur Befreiung des Libanon anzufeuern. Seit der Islamischen Revolution zeigen die iranische 1-Rial-Münze und die 1000-Rial-Banknote eine Abbildung des Felsendomes. Iranische Soldaten erhielten, als sie sich 1980 im Krieg mit Saddam Husseins Streitkräften befanden, primitive Landkarten, auf denen ein Weg durch den Irak nach Jerusalem eingezeichnet war. Ayatollah Khomeini erklärte den letzten Freitag des Ramadan zum Jerusalemtag, und der Feiertag dient seither als ein wichtiger Anlaß zu antiisraelischen Kundgebungen.
"Es ist für Juden verboten, an der Westmauer zu beten."
Seit der Eroberung durch Israel haben einige Ideologen versucht, die Verbindung des Islam mit Jerusalem auf eine historische Grundlage zu stellen. Sie gebrauchen drei Argumente, die allesamt historisch fragwürdig sind. Erstens behaupten sie, es gebe eine muslimische Verbindung zu Jerusalem, die älter sei als die jüdische. Ghada Talhami, ein Wissenschaftler am Lake Forest College, versichert beispielsweise: "Es gibt andere heilige Städte im Islam, aber Jerusalem hat einen besonderen Platz in den Herzen und im Denken der Muslime, da sein Schicksal immer mit dem ihren verknüpft gewesen ist."
Immer? Die Gründung Jerusalems fand statt etwa zwei Jahrtausende vor dem Beginn des Islam, wie kann das also sein? Ibrahim Hooper, Direktor am Council on American-Islamic Relations in Washington, erklärt: "Die Verbindung zwischen Muslimen und Jerusalem beginnt nicht mit dem Propheten Mohammed, sie beginnt mit den Propheten Abraham, David, Salomon und Jesus, die auch Propheten im Islam sind." Mit anderen Worten: die Hauptpersönlichkeiten des Judentums und des Christentums waren in Wirklichkeit die ersten Muslime.
Die zweite Behauptung, die nicht weniger anachronistisch ist, besagt, daß im Koran von Jerusalem die Rede sei. Hooper und andere sagen: Der Koran bezieht sich auf Jerusalem mit dessen islamischem Mittelpunkt, der Al-Aksa-Moschee. Aber das ergibt keinen Sinn - eine Moschee, die ein Jahrhundert nach der Niederschrift des Koran erbaut wurde, kann nicht das darstellen, was der Koranvers ursprünglich meinte.
Drittens leugnen einige Muslime, daß Jerusalem für die Juden irgendeine Bedeutung habe. Abd al-Malik Dahamshe, ein arabischer Abgeordneter in Israels Parlament, behauptete letzten Monat einfach: "Die Westmauer hat nichts den Überresten des jüdischen Tempels zu tun." Ein fundamentalistischer arabischer Führer ging noch weiter und verkündete: "Es ist für Juden verboten, an der Westmauer zu beten." Oder, kurz und bündig auf einem Transparent: "Jerusalem ist arabisch."
Wenn einem auch die Ohren klingen von den Versicherungen, daß Jerusalem essentiell für den Islam sei, so enthält die Religion doch ein zurückhaltendes aber durchgängiges Ressentiment gegen Jerusalem. Der vielleicht wichtigste Vertreter dieser Sicht war Ibn Taymiya (1263-1328), einer der strengsten und einflußreichsten religiösen Denker des Islam. (Die arabischen Wahhabiten sind seine neuzeitlichen Nachfolger.)
Ibn Taymiya versuchte den Islam von Hinzufügungen und Unfrömmigkeit zu reinigen und verwarf die Heiligkeit Jerusalems als eine Idee, die von Juden und Christen herstamme und von der längst vergangenen Rivalität der Omaijaden mit Mekka. Allgemein wußten gebildete Muslime in den Jahren nach den Kreuzzügen, daß die große Publizität der Hadithe, die Jerusalems Heiligkeit priesen, aus dem Gegenkreuzzuges herrührte, das heißt aus politischem Kalkül, und hielten sich dazu reserviert.
Jerusalem wird für Muslime niemals mehr sein als eine Stadt zweiter Klasse.
In Erinnerung daran, daß Gott die Muslime einst ihre Gebete nach Jerusalem richten ließ, um sie dann stattdessen nach Mekka zu wenden, sagen einige frühe Hadithe, daß die Muslime sich zum Gebet ausdrücklich von Jerusalem abwenden, eine ablehnende Geste, von der sich ein Überbleibsel erhalten hat: Wer in der Al-Aksa-Moschee betet, dreht nicht zufällig der Tempelplattform, zu der die Juden hin beten, genau den Rücken zu.
In Jerusalem haben theologische und historische Ansprüche dieselbe Funktion wie anderswo Rechtsdokumente. Wer eine tiefere und längerwährende Verbindung mit der Stadt nachweisen kann, hat eine bessere Chance, für seine Herrschaft internationale Unterstützung zu gewinnen. In diesem Zusammenhang sind aus der Tatsache, daß die Politik so lange die muslimische Verbindung zu Jerusalem genährt hat, zwei Folgerungen zu ziehen. Erstens deutet sie auf die relative Schwäche der islamischen Verbindung mit der Stadt hin, die ebensosehr aus den vorübergehenden Erwägungen weltlicher Bedürfnisse erwächst, wie aus unwandelbaren Glaubenssätzen.
Zweitens folgt daraus, daß das muslimische Interesse weniger darin besteht, Jerusalem zu beherrschen, als darin, niemand anderem die Herrschaft über die Stadt zuzugestehen. Jerusalem wird für Muslime niemals mehr sein als eine Stadt zweiter Klasse.
Im Gegensatz dazu ist Mekka die ewige Stadt des Islam, der Ort, an dem, wie Muslime glauben, Abraham beinahe Isaaks Bruder Ismael geopfert hätte, und zu dem sich Muslime fünfmal täglich im Gebet hinwenden. Nichtmuslimen ist der Zutritt streng verboten, daher ist die Einwohnerschaft rein muslimisch. Die Stadt Mekka weckt in den Muslimen ein ähnliches Gefühl wie Jerusalem unter Juden: "Sie nur zu erwähnen, ruft heilige Ehrfurcht in den Herzen der Muslime hervor," schreibt Abad Ahmad von der Islamic Society of Central Jersey. Stark vereinfacht ausgedrückt: Jerusalem ist für die Juden, was Mekka für die Muslime ist. Und genau so, wie Muslime über ein ungeteiltes Mekka herrschen, sollten Juden über ein ungeteiltes Jerusalem herrschen.