"Die Neuheit und das Ausmaß der misslichen Lage Europas machen es schwierig das zu verstehen, sie verlocken dazu Dinge zu übersehen und machen eine Vorhersage unmöglich. Europa marschiert in terra incognita." So beendete ich vor zehn Jahren einen Artikel zum Thema der Zukunft des Islam in Europa. Heute entsteht dank der Wahlen in Frankreich und Österreich eine Antwort; die Europäer scheinen nicht bereit zu sein "sanftmütig in diese gute Nacht zu gehen",[i] sondern werden "gegen das Sterben des Lichts wüten, toben".
Es stimmt: Die Eliten, für die die deutsche Kanzlerin Angela Merkel steht, bestreiten weiter heftig die Probleme der Immigration, des Islamismus und der Identität. Was ich die 6 P nenne (Politiker, Presse, Polizei, Staatsanwälte, Professoren und Priester)[ii], lehnt es ab die fundamentalen gesellschaftlichen Veränderungen und enormen Spannungen einzuräumen, die ihre Politik schafft. aber die Massen – und das ist die gute Nachricht in diesem Bericht – beginnen ihre Ansichten nicht nur in vergeblichem Protest, sondern auf dramatische Weise zu Gehör zu bringen, um den Kurs ihrer Länder zu verändern.
Die französische Mitte-Rechts Partei Republikaner hielte gerade ihre ersten jemals veranstalteten Vorwahlen nach US-Vorbild für den Posten des Staatspräsidenten ab. In den ersten beiden Runden wetteiferten sieben Kandidaten, darunter ein ehemaliger Präsident (Nicholas Sarkozy) und zwei frühere Premierminister (Alain Juppé und François Fillon) um die beiden ersten Plätze.
Monate lang lagen Juppé und Sarkozy in den Umfragen ganz vorne, Fillon war abgeschlagen dritter. Fillon war derart unsichtbar, dass ihn zum Beispiel ein Kommentar des exzellenten Christopher Caldwell zu den französischen Vorwahlen völlig ignorierte.
Juppé und Sarkozy führten Monate lang, Fillon war abgeschlagen dritter – bis auf die letzten Tage. |
Aber wie es in den letzten Jahren oft war (Benjamin Netanyahu und David Cameron 2015, Brexit und Donald Trump 2016), schlug sich die konservativere Option weit besser als erwartet. In einer überwältigenden Überraschung gewann Fillon 44 Prozent der Stimmen, lag weit vor Juppé mit 29 Prozent und Sarkozy mit 21 Prozent. (Die anderen vier Kandidaten erreichten 7 Prozent.)
Fillon walzte Juppé in der zweiten Runde mit 66 zu 34 Prozent weiter nieder. Fillon wird vermutlich die erste Runde der allgemeinen Wahlen gewinnen und dann in der Stichwahl entweder den Kandidaten der sozialistischen Partei oder Marine Le Pen vom Front National besiegen. Er wird einen Weg nach vorne angeboten haben, der zwischen der dummen Idee der von Juppé beförderten "glücklichen Identität" (wirklich!) und der Rebellion von Le Pen, die eine "vorläufige" Verstaatlichung der Banken anstrebt, liegt.
Unter der Annahme, dass Fillon an seinem Programm festhält, hat es epochale Bedeutung für Europa, wenn er Präsident wird. Zum ersten Mal stünde ein Politiker der Mitte mit traditionellen, patriotischen Anschauungen für indigene europäische Kultur und Gebräuche ein, während sich er weiterer, groß angelegter Immigration und Aufnahme des Islamismus widersetzt. Das fügt dem rebellischen Front National, einer Partei mit exzentrischen und oft linken Ansichten, enormen Schaden zu.
Der allgemein eher biedere François Fillon hat Gefallen an extravaganten, schnellen Autos. |
Fillon hat das europaweite Tabu einer Altpartei gebrochen, indem er einer Rebellen-Partei die Schau stiehlt. Wenn er diese Taktik zum Sieg weiterführt, wird er Politikern der rechten Mitte von Griechenland bis Norwegen einen Kurs vorgeben; Merkel ist seinem Beispiel bereits mit einem dramatischen Kurswechsel gefolgt und hat "ein Verbot der Burka" gefordert.
Das Timing dieser Ereignisse ist kein Zufall, sondern folgt zwei Entwicklungen: wiederholter wichtiger Handlungen jihadistischer Gewalt in Frankreich und Merkels Entscheidung von 2015 eine ungezählte Menge an unkontrollierten Migranten aufzunehmen. Merkels Entscheidung, die wahrscheinlich als Wendepunkt in der europäischen Geschichte betrachtet werden wird, half ebenfalls den spektakulären Aufstieg von Norbert Hofer von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) anzutreiben, der fast Präsident des Landes wurde, als er im April 49,7% und dann im Dezember 46,2 Prozent gewann, als er (beide Male) gegen den ehemaligen Parteichef der Grünen Partei antrat.
Alexander van der Bellen und Norbert Hofer, die österreichischen Präsidentschaftskandidaten, debattierten von Angesicht zu Angesicht. |
Zugegebenermaßen hat Österreich untergeordnete Bedeutung und sein Präsidentenamt ist weitgehend zeremonieller Natur, aber die Tatsache, dass eine Rebellen-Partei, die FPÖ, zweimal beinahe die 50-Prozent-Marke erreichte, zerschlägt die Konsensansicht, dass Rebellen-Parteien nicht mehr als ein Drittel der Stimmen gewinnen können. Können sie doch. Hofers Beinahe-Sieg hat immense Folgen; er legt nahe: Wenn die Altparteien den Rebellen nicht die Schau stehlen können, dann werden diese Rebellen schließlich aus eigener Kraft die Macht erreichen.
Zusammengenommen legen die französischen und österreichischen Wahlen daher nahe, dass die Europäer zwei alternative Wege haben, auf denen sie Multikulturalismus, Islamismus und unablässige Immigration zurückweisen können: entweder durch Veränderung der Altparteien oder durch die Unterstützung von Rebellen-Parteien.
Ob sie das tun, hängt hauptsächlich von zwei Schlüsselentwicklungen ab: der Bereitschaft der Mitte-Rechts-Altparteien Ideen der Rebellen-Parteien zu übernehmen; und die Regelmäßigkeit und die Zahl der Toten durch Jihad-Anschläge.
Die terra wird immer stärker cognita.
Daniel Pipes (www.DanielPipes.org) ist Präsident des Middle East Forum
[i] Aus dem Gedicht "Do not go gentle into that good night" von Dylan Thomas (1914 – 1953)
[ii] auf Englisch: politicians, press, police, prosecutors, professors and priests