Der Publizist Daniel Pipes steht den Republikanern nahe und hat sich auf seiner Website vor allem als scharfer Islamkritiker profiliert. Der Politologe Ramon Schack stellte ihm kritische Fragen und erhielt darauf gelegentlich unerwartete Antworten.
Herr Pipes, könnten Sie mir einen Staat nennen, der in den letzten 100 Jahren von Iran angegriffen worden ist?
Da muss ich einen Augenblick nachdenken. Ach ja, die Abu-Musa-Insel im Persischen Golf.
Bei Abu Musa handelt es sich aber nicht um einen Staat, sondern um eine Insel, deren territoriale Zugehörigkeit bis heute umstritten ist. Ausserdem wurde die Insel von Iran zwar besetzt, aber nicht durch einen kriegerischen Angriff auf einen Nachbarstaat erobert.
Sie haben recht, Iran hat in den letzten 100 Jahren keinen Staat angegriffen.
Trotzdem forderten Sie Barack Obama im Februar dieses Jahres auf, Iran zu bombardieren, um die nuklearen Kapazitäten des Landes zu zerstören.
Nun, Deutschland führte von 1871 bis 1914 auch keinen Krieg, trotzdem entwickelte es sich später zu einer aggressiven und gefährlichen Militärmacht, die erst 1945 ausgeschaltet werden konnte. Ich bin weit davon entfernt, dem amtierenden Präsidenten der USA, gegen dessen Politik ich arbeite, irgendwelche Ratschläge zu erteilen. Bei diesem Vorschlag handelte es sich aber um eine Idee, wie Barack Obama seine bisher dürftige politische Bilanz und seine rapide sinkenden Umfragewerte verbessern könnte, nämlich durch eine aussenpolitische Initiative, die ihm Zuspruch von verschiedenen politischen Lagern in den USA sichern würde.
Habe ich Sie richtig verstanden? Die USA sollten Iran angreifen, um von innenpolitischen Problemen abzulenken?
Bei der iranischen Bombe handelt es sich nicht um ein innenpolitisches Problem der USA, sondern um ein globales Problem. Mit der Ausschaltung der iranischen nuklearen Bedrohung würde Obama Amerikas Interessen schützen und ein deutliches Signal senden, an alle unsere Freunde und Feinde weltweit.
Der renommierte israelische Militärhistoriker Martin van Crefeld ist der Überzeugung, Israel könnte mit einem nuklear bewaffneten Iran leben.
Früher hielt ich eine Menge von Martin van Crefelds wissenschaftlicher Arbeit, inzwischen bin ich anderer Meinung.
Sie sind also der Ansicht, wenn Iran morgen im Besitz einer Atombombe wäre, würde es diese umgehend auf Tel Aviv feuern, um anschliessend von den USA nuklear ausgelöscht zu werden?
Nein, mit Sicherheit nicht. Allerdings würde sich der Einfluss Irans dadurch dramatisch erhöhen, die Verhandlungsbasis des dortigen Regimes sich ausweiten, und wahrscheinlich käme ein nukleares Wettrüsten in der Region in Gang.
Der ehemalige CIA-Agent Robert Baer bezeichnet Iran als zukünftige Regionalmacht und rät den USA, sich mittelfristig eher mit Teheran zu verbünden, als auf die jetzigen Alliierten in der Region zu bauen – also etwa Pakistan, Saudiarabien und Ägypten. Was halten Sie davon?
Um diese Alternative überhaupt in Erwägung ziehen zu können, müsste es in Iran zu einem Sturz des jetzigen Regimes kommen.
Im Gegensatz zu den Verbündeten der USA – Ländern, deren Bevölkerung in totaler Opposition zu den Regimen steht – ist die iranische Bevölkerung, so belegen Umfragen, zu einem grossen Anteil nicht antiamerikanisch eingestellt.
Richtig, in Ägypten ist Antiamerikanismus weit verbreitet, von Saudiarabien ganz zu schweigen. In Iran gibt es Hoffnung aufgrund des Bildungsniveaus der dortigen Bevölkerung sowie der historischen und kulturellen Prägung dieses Landes. Diese steht ja im völligen Gegensatz zu den Nachbarstaaten, auch teilweise zu den dortigen Verbündeten der USA.
Der Atomstaat Pakistan, ein anderer Alliierter der USA, versinkt im politischen Chaos und in Anarchie, die Probleme in Afghanistan und im Irak spitzen sich täglich zu. Ist es nicht an der Zeit, die bisherige Aussenpolitik Amerikas in der Region zu hinterfragen und sich nach neuen Verbündeten umzusehen?
Eine Rückkehr der Taliban in Afghanistan kann nur mit Hilfe der Iraner verhindert werden, in diesem Bereich gibt es ja schon eine stille Zusammenarbeit. Ich sehe Iran langfristig auch nicht als die grosse Bedrohung, ebenso wenig wie den Aufstieg der Schiiten. Das Regime in Teheran ist marode, früher oder später wird es kollabieren, wie auch die Sowjetunion. Die derzeitige Entwicklung in der Türkei sehe ich mit viel grösserer Sorge als die in Iran.
Inwiefern?
Atatürk hat fünfzehn Jahre gebraucht, um die Türkei in Richtung Westen zu schieben. Erdogan hat es in nur fünf Jahren geschafft, die Türkei nach Osten zu schieben, sich ihren östlichen und südöstlichen Nachbarn zu öffnen.
Kann man es der Türkei denn verübeln, das sie sich ihren östlichen und südöstlichen Nachbarstaaten annähert, nachdem man in Ankara seit Jahrzehnten an die Pforten der EU geklopft hat, ohne Einlass zu erhalten?
Nein, aber die Islamisierung der Türkei vollzieht sich viel geschmeidiger als seinerzeit in Iran. Nicht durch eine blutige Revolution, sondern durch eine schleichende Penetration des Staatsapparates, was langfristig erfolgreicher sein dürfte. Diese Entwicklung hat sich so schnell vollzogen, dass die Türkei – ungeachtet der Nato-Mitgliedschaft – nicht mehr als Verbündeter des Westens betrachtet werden kann.
Wie beurteilen Sie die Beziehungen zwischen den USA und Saudiarabien?
Die Beziehungen zwischen Saudiarabien und den USA sind ein Skandal, flankiert von Habgier und Korruption. Die Anschläge von 9/11 basierten auf saudischer Ideologie, saudischer Finanzierung, saudischem Personal und saudischer Organisation. Die Verbreitung des militanten Islams weltweit wurde und wird zu einem Grossteil von saudischem Geld finanziert. Trotzdem unternahm die Bush-Regierung ebenso wenig dagegen wie ihre Vorgängerin oder die jetzige Obama-Administration.
Weshalb?
Nun, weil der Einfluss der Saudi bis in die höchsten Regierungskreise reicht und von ökonomischen Interessen der amerikanischen Erdöl-Lobby angetrieben wird. Von Mohammed Al-Khilewi, einem saudischen Diplomaten, der sich in die USA absetzte, stammt das folgende Zitat: «Was die saudisch-amerikanischen Beziehungen angeht, sollte das Weisse Haus das Weisse Zelt genannt werden.» Eine sehr treffende Formulierung, wie ich meine.
Sie selbst werden als aussenpolitischer Falke bezeichnet. In Ihrer publizistischen Tätigkeit unterscheiden Sie aber zwischen dem Islam und dem Islamismus – eine Differenzierung, um die man sich heute immer seltener bemüht, vor allem im rechten politischen Spektrum, wo Sie sich situieren. Wie beurteilen Sie eigentlich die aktuelle Debatte in Europa und den USA um den Islam, die Integration von muslimischen Einwanderern usw.?
Die aktuelle Islam-Debatte im Westen ist primitiv. Unsere Probleme bestehen doch nicht aus Moscheebauten, Minaretten oder Kopftüchern. Es handelt sich um eine Phantomdebatte, an den eigentlichen Problemen wird vorbeidiskutiert. Wir müssen Massnahmen ergreifen, um die unbestrittenen, einmaligen Vorzüge der westlichen Zivilisation zu verteidigen, und dabei die Herzen der moderaten Muslime gewinnen, nicht aber Hysterie und Misstrauen streuen.
Sie selbst haben den niederländischen Politiker Geert Wilders öffentlich unterstützt. Begrüssen Sie den Aufstieg von islamfeindlichen, rechtspopulistischen Parteien in Europa?
Wilders' politische Agenda ist natürlich bizarr und nicht ernst zu nehmen, sein Parteiprogramm voller unhaltbarer Versprechungen und einfacher Lösungen. Allerdings hat er das Recht, seine Meinung zu äussern. Ich betrachte es als Skandal, dass er nicht ohne Leibwächter das Haus verlassen kann. Der Aufstieg dieser Parteien in Europa, die ja keinen einheitlichen Block bilden, ist das Resultat eines Versagens der politischen Klasse. Es wäre den etablierten Politikern und Parteien zu raten, sich dieses Themas anzunehmen, die Debatte zu führen und zu moderieren. Andernfalls wird die innenpolitische Lage in Europa weiter eskalieren, mit einer zunehmenden Radikalisierung auf allen Seiten.