Die Abschaffung von Kursen zur westlichen Zivilisation zählt zu den vielen radikalen Veränderungen an amerikanischen Universitäten in den letzten Jahrzehnten. Symbolisch begann die Verschiebung im Januar 1987, als Jesse Jackson Studenten der Stanford University bei einer absurden Demonstration mit schweren Folgen anführte; dort brüllte er: "Hey-heiy, ho-ho, Western culture's got to go.!" (Hey, hey, ho, ho, westliche Kultur muss weg)
Und sie verschwand. Diese Studenten, schreibt Stanley Kurtz in The Lost History of Western Civilization,[1] hatten nicht nur erfoglreich "Stanfords Pflichtkurs zur Geschichte und großen Arbeiten der westlichen Zivilisation gekoppt... sondern sie halfen auch eine 'multikulturalistische' Bewegung in Gang zu setzen, die die westliche Zivilisation an den meisten amerikanischen Colleges wegfegte und die Bedingungen für unsere Kulturkämpfe für die Jahrzehnte festlegte".
"History of Western Civilization: A Handbook" von William H. McNeill |
Kurse zu westlicher Zivilisation sind wichtig, weil sie dem intelligenten Bürger und Wähler helfen drei Themen zu verstehen: wie die Dinge entstanden sind; was funktioniert und was nicht; und wo man in die Welt hinein passt. Wie abzuschaffen macht die Führungskräfte von morgen weniger kompetent.
In den späten 1970-er Jahren, lange bevor Jesse Jackson durch Palo Alto marschierte, lehrte ich diesen Kurs unter Verwendung von History of Western Civilization: A Handbook[2] (University of Chicago Press, 1969) von William H. McNeill, meinem Mentor, als Grundlagentext. Erst im Nachhinein, nachdem ich die Verbreitung des Multikulturalismus beobachtete, erkenne ich heute McNeills Geist der kulturellen Überzeugung. Er überblickte ruhig die Höhepunkte, übernahm spontan die Bedeutung Europas und seiner Ableger, bestätigte spontan ihre Leitungen und setzte diese unumstritten als positiv voraus.
In der Post-ho-ho-Ära kam ich allerdings zu dem Entschluss, dass eine nicht multikulturelle Geschichte westlicher Zivilisation sich mit Sicherheit anders mit ihrem Thema beschäftigen muss; sie kann McNeills Distanziertheit nicht beibehalten, sondern muss sich ins Getümmel stürzen und diesen neuen Feind bekämpfen. Wie könnte das klappen? Bei der Suche nach einem Beispiel für ein solches Buch fand ich Rodney Starks bemerkenswerte Studie von 2014: How the West Won: The Neglected Story of the Triumph of Modernity[3] (ISI Books).
"How the West Won: The Neglected Story of the Triumph of Modernity" von Rodney Stark |
Schon sein Titel signalisiert eine ambitionierte, kühne, ungestüme und kämpferische Antwort auf den Multikulturalismus. Während McNeill Dutzende Seiten Russland widmet, erwähnt Stark es nur zweimal en passant; in How the West Won spielt es keine Rolle. Der Renaissance erhält in McNeills Geschichte siebzehn Seiten, aber Stark erwähnt sie nicht ein einziges Mal, findet sich für seine Geschichte unwichtig. Dasselbe gilt für Napoleon, der zwölf Seiten lang bzw. nicht erwähnt wird. Im Gegensatz dazu weht McNeill über das Gold und Silber des spanischen Imperiums hinweg, während Stark ihm sechs Seiten widmet. Weniger offensichtlich ist, dass Stark für eine pro-christliche Botschaft wirbt, die McNeill fremd ist, aber genau in diese Ära des zivilisatorischen Aufeinanderpallens passt.
Ebenfalls im Gegensatz zu McNeill, der gelassen andere Historiker und ihre Interpretationen ignoriert, hat Stark oft deutliche Einwände gegen einige Elemente der gängigen, aber fehlgeleiteten Meinung, ob es nun um die Wertigkeit der Wikinger-Kultur oder die Rolle des Christentums beim Aufstieg des Westens geht. Im Verlauf dieser Streitgespräche nimmt er es mit so prominenten intellektuellen Persönlichkeiten wie Fernand Braudel, Henri Pirenne und Max Weber auf. Wo McNeill still auf seinen Vorgängern aufbaut, stellt Stark sie infrage. Wo McNeill historischen konsens schreibt, schreibt Stark Revisionismus.
Wenn wir auf die Einzelheiten eingehen, so ignoriert Stark die vorherrschende antiwestliche Stimmung der akademischen Welt und definiert die Moderne als das Bündel, das die westliche Zivilisation voranbringt. Mit Ausnahme von ein paar "Kleinigkeiten" wagt er zu behaupten, dass sie "im Ganzen ein Produkt der westlichen Zivilisation ist". Er geht noch weiter und erklärt: "In dem Ausmaß, in dem andere Kulturen es versäumt haben zumindest wichtige Aspekte westlicher Gebräuche zu übernehmen, bleiben sie rückständig und verarmt." Er nimmt keine Gefangenen. Es ist eine westliche Party.
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Wie diese Party zustande kam, ist das Thema seines scharf geschriebenen und temporeichen Buches. Es verdient es komplett gelesen zu werden, aber hier ist eine Probe einiger Höhepunkte:
In antiken Reichen "passierte sehr wenig". Nur unterbrochen von gelegentlich niedergeschlagenen Rebellionen zogen launenhafte und räuberische Herrscher gnadenlos Arbeit und Wohlstand aus ihren unterdrückten Untertanen.
Das klassische Griechenland brach mit seinen kleinen, unabhängigen Stadtstaaten mit der Tradition, die sich wie "Frösche um einen Teich" drückten. Ihre erfolgreichen Art Krieg zu führen, die darauf gründeten, dass freie Männer für ihre Familien kämpften, ließen ihnen die Freiheit zukommen außergewöhnliche Ideen in so unterschiedlichen Bereichen wie Wirtschaft, Kunst und Philosophie zu entwickeln.
Diese Ideen beeinflussten dann Juden im kulturellen griechischen Umfeld. Diese beiden Stämme vereinigten sich im Christentum, einer hellenisierten und universalisierten Version des Judentums. "Es war das voll entwickelte Konzept von Gott ... das die christliche Theologie formte und die Grundlage für den Aufstieg des Westens lieferte." Dieser Grundlage fügte die griechische Philosophie Vernunft und Logik hinzu. Die Mischung schuf eine einzigartige Idee von Fortschritt, etwas, das sich in keiner anderen Zivilisation findet. Die Naturwissenschaften entstanden wiederum "infolge der Doktrin des rationalen Schöpfers eines rationalen Universums und machte wissenschaftliche Untersuchung möglich."
Im Gegensatz zu diesen Historikern, die Europas Überlegenheit seiner Geografie oder einigen Durchbrüchen wie Schusswaffen oder Kapitalismus zuschreiben, verweilt Stark beim Primat der Ideen und der jüdisch-christlichen Tradition innerhalb dieser Ideen. In der wahrscheinlichen Schlüsselpassage von How the West Won, argumentiert Stark: "Das christliche Konzept von Gott als rationalem Schöpfer eines verstehbaren Universums ... spornte des Westen auf dem Weg in die Moderne ständig an." Man kann beinahe den Multikulturalismus würgen hören.
Das Kolosseum in Rom |
Schließlich löschten neue Imperien diese zivilisatorischen Ausnahmen aus, was im düsteren Römischen Reich gipfelte, das Stark als "bestenfalls eine Pause im Aufstieg des Westens und plausibler ... einen Rückschlag" abqualifiziert. Die unterdrückerischen Römer zeichneten sich nicht nur durch eine Innovation aus, sondern durch technologische Leistungen, ein Ergebnis der Kombination aus politischer Dominanz und der weit verbreiteten Verfügbarkeit billiger Sklavenarbeit. Eine der größten dieser Leistungen, das Kolosseum, war Gastgeber von etwa 200.000 Tötungen, ein passendes Symbol seiner verwahrlosten Seele.
Starks erfrischende Abscheu gegen Imperien führt ihn unkonventionellerweise dazu die Zerstörung des römischen Imperiums durch die sogenannten Barbaren und die "glorreiche Reise in die Moderne" zu feiern. Die Jahre 400 bis 1000 kennzeichnen eine Zeit, in der Europa mehr als eintausend unabhängige Staatswesen aufkamen und eine Ära hereinbrachten, die mit kultureller Vielfalt und politischer Zerrissenheit gesegnet war. Das "ermöglichte umfrangreiche, kleine soziale Experimente und löste kreative Konkurrenz aus". Mit dem Untergang der parasitären römischenElite und ihres Luxus, der von Unterdrücker-Steuern bezahlt wurden, ergab sich ein höherer Lebensstandard für die Massen, wie besseres Lebensmittel und größere Leichen zeigen.
Tatsächlich war die Ära eine der innovativsten überhaupt, der Beginn von Europas "technologischen und intellektuellen Sprüngen vorwärts, die es der ganzen Welt voraus sein ließ". Zu den Beispielen gehören der schwere Pflug, das Pferdegeschirr, Wasser- und Windmühlen, Segelschiffe und eine unerreichte Militärtechnologie. Der Handel nahm zu. Zu den kulturellen Leistungen gehörten Ölmalerei, polyphone Musik und hohe Kathedralen.
Die spätere Zeit des Mittelalters erlebte weitere bemerkenswerte Entwicklungen, darunter die Abschaffung der Sklaverei, der Aufstieg des Kapitalismus (der schon im neunten Jahrhundert aus großen Klöstern erwuchs) und die Anfänge der repräsentativen Demokratie.
Stark verbindet auffallende Technologie mit historischen Entwicklungen, wie dieser nicht untypische Satz andeutet: "Eine Reihe Innovationen kann plausibel der Kleinen Eiszeit [ca. 1350 bis 1850] zugeschrieben werden: Glas-Fensterscheiben, Sturmtüren, Skier, Schlittschuhe, Sonnenbrillen,... destillierte Spirituosen, gestrickte Kleidung, Knöpfe und Schornsteine." In einer interessanten Nebenbemerkung verbindet er Schornsteine mit dem Bau kleiner Räume und Sex, was sich folglich von einer halb öffentlichen in eine private Aktivität entwickelt.
Mittelalterliche Schornsteine wie dieser in England hatten unerwartete Folgen. |
Theologie, gemeinhin als verstaubtes religiöses Streben abgetan, wird hier gefeiert. Um die Natur Gottes und ihre Beziehung zu Menschen zu studieren argumentiert Stark, dass die sie Anwendenden, die Scholastiker, "Europas große Universitäten gründeten, die experimentellen Methoden formulierten und lehrten sowie westliche Wissenschaften ins Leben riefen". Ab der Gründung der ersten Universität in Bologna im Jahr 1088 trachteten diese Institutionen danach über die erhaltenen Weisheiten hinauszugehen; unter Würdigung von Innovation betonten sie Empirismus. Akademische Freiheit entstand überraschenderweise 1231, als der Papst die Universität von Paris von der Kontrolle durch die zivile Obrigkeit.
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Im Gegensatz zu dieser Hommage mittelalterlicher Bildungseinrichtungen lehnt Stark die "Wissenschaftliche Revolution" von ca. 1550 bis 1700 als Betrug ab, "erfunden, um die mittelalterliche Kirche zu diskreditieren". Zum Beispiel zeigt er, wie der kopernikanische Helizentrismus, nach dem die Erde um die Sonne kreist, nicht de novo entstanden ist, sondern Höhepunkt einer Forschungs- und Innovationslinie von Priestern und Mönchen war, die drei Jahrhunderte zurück reichte und niemand weniger als Robert Grosseteste, Johannes von Sacrobosco, Albertus Magnus, Roger Bacon, Campanus von Novara, Theodor von Freiburg, Thomas Bradwardine, William of Ockham, Nicole Oresme, Albert von Sachsen, Pierre d'Ailly und Nicholas von Cusa gehörten.
Auf einer praktischeren Ebene führt Stark die Industrielle Revolution auf das mittelalterliche Europa zurück unddessen "Aufkommen des Bankwesens, aufwändige Herstellungsnetzwerke, rapide Innovationen in Technik und Finanzen und ein geschäftiges Netzwerk an Handelsstädten zurück." Diese "Revolution" war in Wirklichkeit eher eine Evolution, die in England mit der Mechanisierung der Textilindustrie vor über tausend Jahren begann. Insbesondere der Zeitraum von 1200 bis 1500 erlebte "bemerkenswerten" technologischen Fortschritt in Schlüsselbereichen wie Metallurgie, Schiffsbau und Waffenherstellung.
Statt der konventionellen Wissenschaftsrevolution von 1550 bis 1700 schlägt Stark vor, dass die Naturwissenschaften in diesem Zeitraum erst erwachsen wurden, wobei er zwei Punkte betont: Erstens war es ein rein europäisches Phänomen: Während zum Beispiel viele Zivilisationen Alchemie nachgingen, "entwickelte einzig Europa die Alchemie zur Chemie". Zweitens war eine Mehrheit führender Wissenschaftler gläubige Christen, die sich Mühe gaben den Intelligenten Schöpfer auszumachen. Mit anderen Worten: Wie in der Zeit des Mittelalters "war die Christenheit entscheidend für das Entstehen der Naturwissenschaften". Faktisch "ermutigte, förderte sogar die jüdisch-christliche Auffassung von Gott wissenschaftliche Forschung".
Diese Fortschritte gaben den Europäern die Mittel für Handel und Eroberung in die Welt hinauszugehen. Sie hielten sich zuerst nahe der Küste Afrikas, dann wagten sie sich auf den Atlantik hinaus und schließlich in die offenen Ozeane und umsegelten den Globus.
Die größte unmittelbare Auswirkung dieser Reisen waren die gewaltigen Schätze, die von Spaniens Herrschaftsgebieten in Süd- und Mittelamerika mitgebracht wurden. Stark hingegen tut das spanische Imperium als nur trügerisch reich ab, weil es auf einem fast unerschöpflichen Nachschub an Silber und Gold, aber keinem wirklichen Wohlstand gründete; so musste Spanien "eine unterentwickelte, feudale Nation" bleiben. Frei verfügbares Geld wiegt die Kosten seines Imperiums nicht auf, das den spanischen "Reichtum blutete". Mit der Zeit schoben die kapitalistischen Imperien der Niederlande und der Engländer das Spaniens einfach beseite.
Gold und Silber aus den Amerikas ließen Spanien wie ein reiches Land erscheinen. |
Dann folgte das Hochwasser der industriellen Revolution, in er landwirtschaftliche Produktivität, billige Energie, niedrige Geburtenraten, hohe Löhne und eine wirtschaftliche Perspektive den Briten den Anreiz gaben Maschinen zu bauen, die "Menschen als Hauptproduktionsmittel" zu ersetzen. Dampfmaschinen und billig hergestellte Waren sorgten dafür, dass der Lebensstandard in die Höhe ging, die Lebensdauer sich verdoppelte und massive Urbanisierung begann. Dann kamen die Vereinigten Staaten, die von Großbritannien die Rolle des Führers in Sachen Ressourcen, Bildung, Löhnen, Erfindergeist, Technologie und Produktivität übernahmen. Auf diese Weise gipfelt das moderne westliche Leben in einem Prozess, der fast drei Jahrtausende zuvor in Griechenland seinen Anfang nahm.
Und schließlich verbreitete der europäische Kolonialismus, bei all seinen Problemen, die Moderne – besonders Bildung und die Herrschaft von Recht – in einem großen Teil der Welt und verbesserte die Lebensqualität der Kolonisierten. Die Ironie: Obwohl der Kolonialismus einigen Elementen der imperialen Zentren zugute kam, war er für den Durchschnittseuropäer insgesamt "ein Verlustunternehmen". Im weiteren Sinne verloren die europäischen Nationen als Ganzes durch ihre Kolonien während der Hoch-Zeit des Kolonialismus von 1870 bis 1914 Geld.
Das Rajpath in Neudelhi: Kolonialismus war für wirtschaftlich ein Verlustunternehmen. |
How the West Won endet so: "Zweifelsohne hat die westliche Moderne ihre Grenzen und Unzufriedenheiten. Sie ist aber dennoch weit besser als die bekannten Alternativen – nicht nur oder auch nicht hauptsächlich wegen ihrer fortschrittlichen Technologie, sondern wegen ihrer fundamentalen Bindung an Freiheit, Vernunft und Menschenwürde." Starks bissige, robuste und erfrischende Studie antwortet wunderbar auf den Selbsthass und den von von Schuld beherrschten Menschenhass des Multikulturalismus.
Als jemand, der in den guten, alten Zeiten dieses Thema lehrte erkenne ich an, dass Jesse Jacksons Gefolgsleute ungewollt die westliche Zivilisation zu einem aufregenderen Thema gemacht haben, als sie es war. Heute müssen Studenten von diesem neuen Geist profitieren. Die Herausforderung besteht darin Bücher wie How the West Won zurück in die Lehrpläne der Universitäten zu bekommen, wo es noch einiges vor sich hat; Open Syllabus Explorer findet es in gerade mal drei US-Kursen aufgeführt.
Daniel Pipes (DanielPipes.org, @DanielPipes) ist Präsident des Middle East Forum
© 2020 Daniel Pipes – alle Rechte vorbehalten
[1] Die verlorene Geschichte der westlichen Zivilisation
[2] Die Geschichte der westlichen Zivilisation: Ein Handbuch
[3] Wie der Westen siegte: Die vernachlässigte Geschichte des Triumphs der Moderne