Im Verlauf der letzten zwei Jahre ist viel von den Israelischen Verteidigungskräften (IDF) und Sieg geredet worden. Was heißt das in der Praxis?
Im August 2018 verkündete der damalige Verteidigungsminister Avigdor Liberman, der nächste IDF-Generalstabschef werde jemand sein, der "in Begriffen von Entscheidungsfreudigkeit und Sieg" redet. Es stellte sich heraus, dass dies Aviv Kochavi ist. Tatsächlich bestätigte er bei seiner Vereidigungszeremonie im Januar 2019, dass es in der Armee "nur um Sieg geht". Auch Premierminister Benjamin Netanyahu, der bei dieser Feier sprach, stimmte zu; alle folgenden Bemühungen, fügte er an, konzentrierten sich darauf die Armee "für ein einziges Ziel bereit zu machen – Sieg im Krieg".
Avigdor Liberman (links) ernannte Aviv Kochavi zum IDF-Generalstabschef. |
Kochavi hielt Sieg dann unermüdlich im Rampenlicht. Zum Beispiel erklärte er bei einer Feier im Jahr 2020: "Die IDF ist da: bereit, mächtig und aggressiv. Wir werden für jeden Auftrag da sein, vorbereitet und entschlossen. Wir betrachten Sieg als den einzigen Weg unser Ziel zu erreichen." Naftali Bennett, der nächste Vollzeit-Verteidigungsminister nach Liberman, betonte Sieg ebenfalls; bei einer Gelegenheit kritisierte er den ehemaligen Generalstabschef und damaligen Parteivorsitzenden Benny Gantz, dass dieser sich im Gaza-Krieg 2014 mit einem "Unentschieden" statt einem entscheidenden Sieges zufriedengegeben hatte. Gantz antwortete aufgebracht mit vier Videos unter dem Titel "Nur die Starken gewinnen".
Das Thema ist derart zählebig gewesen, dass Kochavis direkter Vorgänger als Generalstabschef, Gadi Eizenkot, sich gezwungen gefühlt hat sich gegen Vorwürfe der Zaghaftigkeit zu verteidigen: "Wir haben Terrorismus ziemlich beeindruckend bekämpft und es geschafft eine komplexe, verschachtelte Realität zu bewältigen und sie jeden Tag zu überwinden. Aber heute versuchen manche, beeinflusst durch politische Agenden, das Militär als unentschlossen hinzustellen, als habe es seinen Willen zu siegen verloren und sei zu sehr auf liberale, linke Themen fokussiert."
Die IDF entwickelte unter Kochavis Führung "Momentum"[*] (hebräisch: Tnufa), ein mehrjähriges Programm, um diesen viel beachteten Sieg zu erzielen. So erklärte Yaakov Lappin, spezialisiert auf Israels Vereidigungsestablishment, dass Momentum die Definition von Sieg überarbeitete. Früher bedeutete er, dass Bodenoffensiven Feindterritorium besetzen. Heute reicht das nicht mehr, denn der Feind kann "weiter Guerilla-Angriffe aus Tunneln, Bunkern oder Wohngebäuden auf vorrückende (oder angehaltene) Streitkräfte in Gang setzen oder Projektil-Salven auf die israelische Heimatfront schießen." In diesem Fall "wird Israel der entscheidende Sieg verweigert."
Das Tnufa-Logo hinter Israels Präsident Reuven Rivlin |
Daher gehört zur neuen Definition von Sieg "die schnelle Zerstörung von Feindfähigkeiten" wie Kommandoposten, Raketenwerfern, Waffenlagern, Kommandoebenen des Feindes und Kampfpersonal. Die gründliche Zerstörung gilt nun als "weit wichtiger als die Besetzung von Territorium". Je stärker die Kapazitäten des Feindes in kürzestmöglicher Zeit und mit der kleinstmöglichen Zahl an Opfern zerstört werden, "desto entscheidender der Sieg".
In diesem Geist bestand eine Momentum-Übung mit dem Codenamen Tödlicher Pfeil aus, wie Lappin es beschreibt, "Schlüssel-Hauptquartieren von Einheiten der Bodenstreitkräfte, die eng miteinander zusammenarbeiten, darunter der Luftwaffe, Marine, Militärgeheimdienst, dem C4i und der Abteilung Cyber-Verteidigung sowie weiteren Teilen des Militärs." Diese massive Koordination bedeutet, wie mein Kollege vom Middle East Forum, Nave Dromi, erklärt: "Der Sieg ist im Denken der oberen Etagen der IDF nicht länger am Rande angesiedelt, sondern der zentrale Fokus."
IDF-Soldaten der Einheit 669 bei einer Übung. |
Momentum hat viel weiteren potenziellen Nutzen. Bennett trat für die Ausweitung dieses Offensivgeistes gegen Palästinenserführer ein: "Es ist an der Zeit, dass die Regierung von Israel von der Defensive in die Offensive wechselt. Wir müssen eine Situation schaffen, in der wir Tag und Nacht alle Führer der Terrororganisationen auf und ab jagen, damit sie keine Ruhepause und keine Zeit für die Organisation von Anschlägen auf uns haben." Sein Nachfolger als Verteidigungsminister, Gantz, betrachtet Momentum als Wendepunkt: "Wir werden die Hamas militärisch besiegen, wir werden den Einwohnern des Südens Ruhe bringen und wir werden nicht erlauben, dass sie sich in die Westbank ausweitet."
Ein Bravo an die IDF dafür, dass sie sich von einfachem Halten von Territorium zur "raschen Zerstörung der Feindfähigkeiten" entwickelt hat. Bravo für die Entwicklung eines Auftrags, der Taktik, nicht Strategie betrifft – wie es sich für ein Militär gehört. Momentum hat zurecht zum Ziel, auf dem Schlachtfeld zu siegen, nicht den Feind zu nötigen seine langfristigen Ziele aufzugeben; dafür sind Politiker zuständig.
Als nächstes sollten diese Politiker auf Momentum aufbauen und ihren Drang zum Sieg auf die politische Bühne ausweiten. Das bedeutet einen parallelen Plan zu entwickeln, mit dem die palästinensische Bevölkerung überzeugt wird, dass Israel zäh und permanent ist, dass ihr Auftritt vorbei ist, dass sie den Krieg verloren haben, dass es an der Zeit ist die Verweigerung zurückzuweisen und als gute Nachbarn mit Israel zu leben. Wie wäre es damit, Herr Premierminister?
Daniel Pipes (DanielPipes.org, @DanielPipes) ist Präsident des Middle East Forum
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[*] Wucht, Schwung, Schwungkraft, Impuls