Es handelt sich beim englischen Text um eine Übersetzung von "Scenari e incognite: Intervista a Daniel Pipes", ein von Davide Cavalier geführtes Interview.
Informale: Geben Sie uns bitte, nachdem jetzt die Amtszeit von Donald Trump vorüber ist, eine Einschätzung seiner Nahost-Außenpolitik.
Daniel Pipes: Wie man von einem Neuling wie Trump erwarten konnte, war seine Außenpolitik eine spontane und recht unvorhersagbare Mischung, beispielsweise gegenüber Russland und Nordkorea. Überraschender ist, dass seine Nahostpolitik konsequent war: hart gegenüber dem Iran, freundlich gegenüber fast allen andere Akteuren, einschließlich Saudi-Arabien, Israel und der Türkei. Mit Ausnahme der Türkei habe ich dazu eine positive Meinung.
Informale: Wie sehen Sie die Politik der Administration Biden im Nahen Osten, besonders gegenüber Israel?
Pipes: Wieder mit Ausnahme der Türkei gefällt sie mir nicht. Biden tut gegenüber dem Iran freundlich und kühlt die Beziehungen zum Rest der Region ab.
Joe Biden (links) und John Kerry, die Genie-Zwillinge der Demokraten, arbeiten daran dem JCPOA wieder beizutreten. |
Informale: Würde Washington den Atomdeal mit dem Iran, dem JCPOA, wieder beitreten, könnte Israel dann mit einem Militärangriff auf die Infrastruktur des Iran reagieren?
Pipes: Sollten die Iraner einem atomaren Durchbruch nahe kommen, könnte Israel den Iran auch angreifen, ohne dass Washington dem JCPOA wieder beitritt. Anders als bei den Präzendenzfällen 1981 im Irak und 2007 in Syrien würde ein solcher Angriff vermutlich die iranischen Bemühungen nur aufschieben, nicht zerschlagen, was bedeutet, dass es wiederholte Angriffe geben muss – was das Risiko erhöht.
Informale: Sollte die Türkei Mitglied der NATO bleiben?
Pipes: Bereits 2009 schrieb ich einen Artikel mit dem Titel "Gehört die Türkei noch in die NATO?" und beantwortete das negativ. Obwohl den Statuten der NATO ein Mechanismus zum Rauswurf eines Mitglieds fehlt, erlaubt die Wiener Konvention zum Vertragsrecht einer einstimmigen Mehrheit einen Schurkenstaat auszuschließen. Das ist nicht einfach, aber möglich. Nicht ganz so weit geht ein entstehender Ansatz des "unbeliebten Highschool-Schülers", nach dem die Türken in der NATO verbleiben, aber nicht zu Treffen eingeladen werden, keine Geheimdienstinformationen erhalten und ihnen keine Waffen verkauft werden.
Robert Kagans Buch Of Paradise and Power basiert auf seinem Artikel "Power and Weakness" |
Informale: Die öffentliche Meinung in Europa, einschließlich Italiens, tendiert dazu die Rolle der USA im Nahen Osten negativ zu betrachten; man empört sich über Aktionen wie den Krieg im Irak 2003 oder die Tötung von General Qassem Soleimani 2020. Was erklärt diese Feindseligkeit?
Pipes: Robert Kagans fundierter Artikel aus dem Jahr 2002, "Power and Weakness", erklärt das weitgehend. Ich fasste seine Argumentation zusammen: "Amerikaner kommen vom Mars; Europäer von der Venus. Europäer geben ihr Geld für Soziales aus, Amerikaner verwenden weiter viel Geld auf das Militär. Europäer ziehen ihre Lektionen aus daraus, dass sie nach 1945 Deutschland befriedeten; die Amerikaner lernen aus ihren Siegen über Nazideutschland und den Sowjet-Block."
Informale: Trotz vieler Bedrohungen im Nahen Osten – Iran gegen Israel, Türkei gegen Griechenland, Hisbollahs Macht im Libanon und Syrien, libysche Anarchie – ist die Europäische Union in diesem Raum kaum präsent. Wie erklärt sich ihre Ineffektivität?
Pipes: Noch einmal: Da die Europäer von oder Venus sind, hoffen sie, dass die Mittel, die Deutschland nach 1945 zähmten, auch im Nahen Osten funktionieren.
Informale: Was erklärt die nahaltende israelfeindliche Einseitigkeit der EU?
Pipes: Dafür sind mehrere Hauptfaktoren verantwortlich: (1) Der Antisemitismus, ein tiefgehender Strang des europäischen Lebens, der mehr als ein Jahrtausend zurückreicht, überlebte den Holocaust. (2) Universalismus, Verachtung für Nationalstaaten wie Israel. (3) Merkantile Interessen, um den guten Willen von Handelspartnern zu gewinnen. (4) Appeasement, also der Versuch zu vermeiden, dass gefährliche Nachbarn feindselig werden.
Daniel Pipes (www.DanielPipes.org @DanielPipes) ist Präsident des Middle East Forum
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