Das Magazin Time zeigte Khomeini auf seinem Titelblatt vom 27. Februar 1989: "Der Ayatollah befiehlt einen Mord" |
Der Messerangriff auf Salman Rushdie wirft die Frage auf: Warum verurteilte Ayatollah Khomeini Salman Rushdie 1989 wegen seines Romas Die Satanischen Verse zum Tode? Dass der iranische Diktator das Buch nicht gelesen hatte, machte sein Handeln, das auf Gesetze, Grenzen und Präzedenzfälle verzichtete, umso überraschender.
Robin Wright erklärt im New Yorker, dass dies "ein politischer Zug war, um die ausbrechende Wut in Pakistan, Indien und darüber hinaus auszunutzen". Giles Kepel argumentiert, dass Khomeinis Erlass "praktisch ihn selbst zum spirituellen Führer aller Muslime ernannte, womit er den Saudis die Führungsrolle entriss". Sam Westrop, Leiter von Islamist Watch beim Middle East Forum, stimmt zu: "Nachdem Führer der Jamaat-e-Islami in Großbritannien nach Saudi-Arabien flogen, um im Oktober 1988 eine internationale Kampagne zu erbitten, glaubte Khomieni, er müsse sich äußern oder er würde riskieren, dass er würde den Kürzeren ziehen."
Ich widerspreche. Das war kein taktischer Zug Khomeinis, um für sich selbst zu werben, sondern eine echte und wütende Reaktion. Warum? Weil ein Schriftsteller namens Salman Rushdie ein Buch mit dem Titel Die Satanischen Verse schrieb. Diese beiden blanken Tatsachen – und nicht die komplexen Inhalten des 546 Seiten starken Romans – reichten aus, eine emotionale Reaktion zu provozieren.
Beginnen wir mit dem Titel. Der Ausdruck "satanische Verse" bezieht sich auf zwei gelöschte Zeilen im Koran, die andeuten, dass der islamische Prophet Mohammed als Zugeständnis an seine Gegner den Islam kurze Zeit zu einem polytheistischen Glauben machte. In diesen beiden Zeilen erklärte er, dass drei heidnische Göttinnen zwischen Mensch und Gott vermitteln können: "Diese sind die erhabenen Vögel / Und ihre Vermittlung ist in der Tat erwünscht." At-Tabari, ein führender früher muslimischer Historiker des Islam, schrieb, dass diese Worte "von Satan" auf Mohammeds Zunge "warf".
In der Diskussion dieses Vorfalls in seiner bahnbrechenden Biographie aus dem Jahr 1858, The Life of Mahomet [Das Leben Mohammeds], erwähnte der Orientalist William Muir "die zwei satanischen Verse". Das scheint die erste Verwendung dieser Wendung zu sein, um auf die gelöschte Passage zu verweisen. Später nahmen westliche Autoren die Formulierung auf, vor allem W. Montgomery Watt, der dem Thema in Muhammad at Mecca [Mohammed in Mekka], seiner maßgebenden Studie von 1953, zehn Seiten widmete, ebenso in seiner Kurzfassung von 1961, Muhammad: Prophet and Statesman [Mohammed: Prophet und Staatsmann].
Ein Auszug aus William Muirs Live of Mahomet and History of Islam to the Era oft he Hegira. (London: Smith, Elder, 1858), Bd. 2, S. 152, zitiert Al-Tabari. |
Im Grunde hat jeder im Westen, der in den letzten siebzig Jahren – so wie Rushdie (und auch ich) –Mohammed und den Koran studiert hat, Watt gelesen und ist der Formulierung "satanische Verse" begegnet.
Die Leseliste für Geschichte 187 des ersten Semesters 1969/70 für "Mittelalterliche Islamische Geschichte" an der Harvard University, gelehrt von Richard Bulliet und kommentiert von Daniel Pipes. Beachten Sie das allererste Buch: W.M. Watts Muhammad at Mecca. |
Im Gegensatz dazu ist der Begriff "satanische Verse" in den Muttersprachen der Muslime unbekannt, darunter im Arabischen, Persischen und Türkischen. Forscher, die diese Sprachen nutzen, kennen die beiden gelöschten Zeilen im Koran als deb gharaniq (Vögel)-Vorfall. Entsprechend haben Muslime wie Khomeini, der Mohammeds Leben und den Koran studierten, aber nicht auf Englisch, eine Vorstellung, worauf "satanische Verse" sich bezieht.
Was sie wissen, ist, dass "satanische Verse" in die von Muslimen gesprochene Sprachen zu übersetzen unvorstellbar beleidigende Folgen verursacht. Auf Arabisch wird es zu Al-Ayat asch-Schaytaniya; auf Persisch zu Ayat-e Schetani; auf Türkisch zu Şeytan Ayetleri. Scheytan ist mit "Satan" verwandt und stellt keine Probleme dar. Aber anders als "Verse", was allgemein in die Poesie, Lieder und heilige Schriften verweist, bezieht sich ayat ausdrücklich auf "Verse des Koran".
Daher bedeuten diese arabischen, persischen und türkischen Titel, wenn sie wörtlich zurückübersetzt werden – und das ist der entscheidende Punkt – "Die satanischen Verse des Korans". Leitet man das leicht ab, dann wird daraus "Der satanische Koran". Das impliziert brisant, dass Mohammed den Koran nicht von Gott erhielt, ihn auch nicht erfand, sondern dass er ihn vom Teufel bekam. Aus diesem Grund bezeichnete Ali A. Mazrui, ein prominenter muslimischer Akademiker, den Titel als "die vielleicht grundlegendste Gotteslästerung" im Roman, eine weithin geteilte Ansicht.
"Der satanische Koran" legt auch nahe, dass Rushdie verkündet, der gesamte Koran – und nicht nur zwei gelöschte Verse – komme vom Teufel. Für Mazrui "liegt Rushdies Gotteslästerung nicht darin, dass er sagt, der Koran sei das Werk Mohammeds. Die Gotteslästerung liegt eher in Rushdies Andeutung, dass er das Werk des Teufels ist." Abdelhamid Zbantout, ein französischer islamischer Führer, verkündete von sich selbst, er sei "empört, dass jemand schreiben würde, der Prophet erhielte seine Offenbarung von Satan und nicht vom Engel Gabriel". Yaqub Zahi, ein britischer Konvertit zum Islam, machte diese Fehllesung in der Londoner Times deutlich:
Dass Rushdie den Namen des Teufels als Verantwortlichen für den Betrug nutzt, soll andeuten, dass der gesamte Koran falsch und Mohammed ein gemeiner Betrüger ist; es handelt sich nicht um zwei als solche entdeckte Verse, sondern um alle 6.236 Verse, die das gesamte Buch ausmachen. Mit anderen Worten: Der Titel ist doppelt zweideutig.
Aber diese Behauptungen sind allesamt falsch. Der Titel ist nicht doppelt zweideutig. Nirgendwo im Roman erklärt Rushdie oder impliziert, dass der Koran vom Teufel kam; in Wirklichkeit stellt er es so dar, dass Mohammed ihn erfand. Aber wütende Muslime, die den Titel als "Der satanische Koran" lesen, übersehen diese Feinheiten in der Hitze ihrer Empörung. Später machte sich niemand mehr die Mühe diese falschen Annahmen zu überprüfen, also wurden sie zu empfangenen Wahrheiten, die endlos wiederholt wurden.
Hierin liegt die direkteste Ursache des Aufruhrs. Andere Bücher müssen gelesen werden, um ihre Gotteslästerungen aufzudecken; dieses verkündet den abscheulichen Skandal in großen, goldenen Reliefbuchstaben direkt auf dem Umschlag. (Und die persische Miniatur auf dem Buchdeckel, die "Rustam tötet den weißen Dämon" zeigt, bestätigt einen Eindruck, dass das Buch Satan in den Mittelpunkt stellt.) Fügt man hinzu, was Muslime über den respektlosen Inhalt des Buchs hörten – er würde Mohammeds Ehefrauen erotisieren, bezeichne Mohammed mit dem ausgestorbenen und feindseligen europäischen Namen Mahound und stelle Gott als einen kahl werdenden Mann mittleren Alters mit Schuppen dar – und die Äußerlichkeiten allein verdammten Rushdie so gründlich, dass natürlich niemand die Notwendigkeit verspürte das Buch tatsächlich zu lesen.
Ein Detail vom Buchdeckel der Satanischen Verse zeigt "Rustam tötet den weißen Dämon". |
Ein Romanautor wählt einen Titel unter anderem auf der Grundlage seiner Originalität, Prägnanz, Dramatik, Brisanz und Einprägsamkeit. Rushdies Wahl von "Die satanischen Verse" erfüllt all diese Kriterien. Was der Autor nicht erkannte: In Verbindung mit seinem rüden Umgang mit islamischer Frömmigkeit hatte seinen Titel eine aufstachelnde Wirkung. Mehr als alles andere erklärt seine scheinbar unschuldige Wahl des Titels, warum so viele Muslime mit Wut auf das reagierten, was ansonsten nur noch ein Roman gewesen wäre.
Der Titel hilft auch die Verschwörungstheorien zu erklären, die rund um Die satanischen Verse erwuchsen, denn als der Roman bekannt und dann zur Titelseiten-Story wurde, wussten viele Muslime in ihrem Herzen, dass ein solch diabolisches Komplott nur aus dem Westen kommen kann. Sie entwickelten ein komplettes Schema und füllten die Einzelheiten ein: Westliche Führer, die ihre orientalistischen Experten konsultierten, entwickelten einen abscheulichen Band, eine neuartige, kreuzzüglerische Bemühung, um den Islam zu sabotieren. Wer sonst außer der CIA oder dem MI6 wussten genug, um einen solch ausgekochten Plan zu entwickeln? Je mehr die überfrommen Muslime darüber nachdachten, desto größer wurde das Thema und desto leidenschaftlicher war ihre Reaktion. Dass das Buch eine erfundene Geschichte war, wurde zunehmend irrelevant; wichtig war, dass es den Islam infrage stellte und die Notwendigkeit eine Verteidigung auf die Beine zu stellen. Solche Sorgen standen im Zentrum der muslimischen Reaktion weltweit, auch der des Ayatollah Khomeini.
Dem sollte hinzugefügt werden, dass Khomeini noch eine Tatsache kannte: den Namen des Autors, Salman Rushdie, der Name eines als Muslim Geborenen. Ein Nichtmuslim, der islamische Heiligtümer verhöhnt, ist keine Überraschung, aber ein als Muslim Geborener, der das tut, ist unerträglich und macht ihn sowohl zu einem Glaubensabtrünnigen als auch zu einem Verräter. Also rief Khomeini zum Todesurteil gegen Rushdie auf, wegen "Gegnerschaft zum Islam, dem Propheten und den Koran".
Also ging es bei dem Todeserlass nicht um Rivalitäten noch um Weltpolitik. Es ging darum, den Islam vor einer wahrgenommenen Gotteslästerung durch einen Verräter zu retten, der mit den Feinden des Islam arbeitet.
Daniel Pipes (DanielPipes.org, @DanielPipes) ist Präsident des Middle East Forum und Autor von The Rushdie Affair (1990)
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Nachtrag vom 23. August: Google Books Ngram zeigt weder die Verwendung von "satanische Verse" von 1858 noch den jüngsten Schub; es zeigt aber den gewaltigen Anstieg in Erwähnungen 1988/89.
Google Books Ngram von "Satanische Vese" |