Es gibt den Eindruck, dass Muslime unverhältnismäßig unter der Herrschaft von Diktatoren, Tyrannen, nicht gewählten Präsidenten, Königen, Emiren und verschiedenen anderen starken Männern leiden – und dieser ist richtig. Eine sorgfältige Analyse durch Frederic L. Pryor vom Swarthmore College im Middle East Quarterly (Are Muslim Countries Less Democratic? – Sind muslimische Staaten weniger demokratisch?) schlussfolgert: In allen außer den ärmsten Ländern ist der Islam mit weniger politischen Rechten verbunden."
Die Tatsache, dass die mehrheitlich muslimischen Länder weniger demokratisch sind, lässt die Versuchung aufkommen darauf zu schließen, dass ihr gemeinsamer Faktor, die Religion des Islam, mit Demokratie nicht kompatibel ist.
Ich stimme dieser Folgerung nicht zu. Die heutige missliche Lage der Muslime spiegelt viel mehr die historischen Umstände wider als angeborene Merkmale des Islam. Anders ausgedrückt: Der Islam ist, wie alle vormodernen Religionen, vom Geist her undemokratisch. Nicht weniger als die anderen, aber er hat das Potenzial sich in eine demokratische Richtung zu entwickeln.
Marsiglio von Padua |
Den Islam mit demokratischen Gepflogenheiten in Übereinstimmung zu bringen, wird tief gehende Veränderungen in seiner Interpretation erfordern. Beispielsweise gehört das antidemokratische Gesetz des Islam, die Scharia, zum Kern des Problems. Es ist vor mehr als einem Jahrtausend entwickelt worden und geht von autokratischen Herrschern und unterwürfigen Untertanen aus, betont Gottes Willen vor Volkssouveränität und ermutigt den gewalttätigen Jihad zur Ausdehnung der Grenzen des Islam. Darüber hinaus privilegiert es antidemokratisch Muslime gegenüber Nichtmuslimen, Männer gegenüber Frauen und freie Menschen gegenüber Sklaven.
Mahmud Mohammed Taha |
Atatürks Bemühungen und Tahas Ideen implizieren, dass der Islam sich immer weiter entwickelt und dass es ein schwerer Fehler ist, wenn man ihn als unveränderlich betrachtet. Man kann es auch mit der anschaulichen Metapher von Philosophie-Professor Hassan Hanafi an der Universität Kairo sagen: Der Koran ist ein Supermarkt, in dem man nimmt, was man haben möchte und liegen lässt, was man nicht haben will".
Das Problem des Islam ist weniger, dass er anti-modern ist, sondern dass sein Prozess der Modernisierung kaum erst begonnen hat. Die Muslime können ihre Religion modernisieren, aber das verlangt wichtige Veränderungen: Jihad zu führen, um die muslimische Herrschaft aufzuzwingen, Nichtmuslime als Bürger zweiter Klasse und die Todesstrafe für Blasphemie oder Abfall vom Glauben müssen raus. Individuelle Freiheiten, Bürgerrechte, politische Partizipation, ein öffentlicher Souverän, Gleichheit vor dem Gesetz und repräsentative Wahlen müssen hinein.
Diesen Veränderungen stehen jedoch zwei Hindernisse im Weg. Besonders im Nahen Osten bleiben Stammesverbindungen von überragender Wichtigkeit. Philip Carl Salzman erklärt in seinem neuesten Buch Culture and Conflict in the Middle East, dass diese Verbindungen ein komplexes Muster von Stammesautonomie und tyrannischem Zentralismus schaffen, die die Entwicklung von Verfassungsstaaten, Rechtsstaatlichkeit, Staatsbürgerschaft, Gleichheit der Geschlechter und den anderen Grundvoraussetzungen eines demokratischen Staates behindern. Erst, wenn dieses auf der Familie gründende archaische Sozialsystem beseitigt wird, kann die Demokratie im Nahen Osten echte Fortschritte machen.
Global behindert die unwiderstehliche und machtvolle islamistische Bewegung die Demokratie. Sie strebt das Gegenteil von Reform und Modernisierung an – nämlich die Wiederbehauptung der Scharia in ihrer Gesamtheit. Ein Jihadist wie Osama bin Laden mag seine Ziele deutlicher darlegen als ein Establishment-Politiker wie der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdoğan, aber beide streben an eine durch und durch antidemokratische, wenn nicht totalitäre Ordnung zu schaffen.
Islamisten antworten auf die Demokratie auf zweierlei Weise. Erstens verurteilen sie sie als unislamisch. Hassan al-Banna, Gründer der Muslimbruderschaft, betrachtete die Demokratie als Verrat an den islamischen Werten. Sayyid Qutb, Theoretiker der Bruderschaft, lehnte die Volkssouveränität genauso ab wie Abu al-A‘la al-Mawdudi, der Gründer der politischen Partei Jamaat-e-Islami in Pakistan. Yussuf al-Qaradawi, der Imam von Al-Jazira, vertritt die Auffassung, das Wahlen Ketzerei sind.
Trotz dieser Verachtung sind die Islamisten erpicht darauf Wahlen zur Gewinnung von Macht zu nutzen und haben sich als geschmeidige Stimmensammler erwiesen; eine Terrororganisation (die Hamas) hat sogar eine Wahl gewonnen. Diese Bilanz macht die Islamisten nicht demokratisch, sondern zeigt ihre taktische Flexibilität und ihre Entschlossenheit zur Machtgewinnung auf. Wie Erdoğan so entlarvend erklärte: Die Demokratie ist wie eine Straßenbahn. Wenn man an seiner Haltestelle ankommt, steigt man aus."
Harte Arbeit kann den Islam eines Tages demokratisch machen. In der Zwischenzeit repräsentiert der Islam die führende antidemokratische Kraft der Welt.
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Update vom 24. April: Unter der Überschrift Inakzeptabel" brachte die Jerusalem Post heute einen Brief mit der Antwort der Regierung der Türkei auf diesen Artikel:
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte unsere starke Verurteilung dieses grundlosen und völlig inakzeptablen Vergleichs zum Ausdruck bringen, der in Daniel Pipes' Artikel Ein demokratischer Islam?" (17. April) zwischen dem Erz-Terroristen Osama bin Laden und Herrn Recep Tayyip Erdogan, Premierminister der Republik der Türkei gezogen wurde.
Wir räumen der freien Meinungsäußerung einen hohen Stellenwert ein, so lange sie sich innerhalb anständiger Grenzen der Kritik hält. Die nicht tolerierbare Parallele jedoch, die in diesem Artikel gezogen wurde, ging über jeden denkbaren Zusammenhang hinaus.
Namik Tan
Botschafter der Republik der Türkei
Tel Aviv