Wien. Von einigen Orientalisten, Politikern und islamischen Organisationen wird er scharf kritisiert. Der Autor und Publizist Daniel Pipes hat in den 80er Jahren an der University of Chicago gelehrt und später im US-Verteidigungsministerium gearbeitet.
Der Sohn polnisch-jüdischer Einwanderer ist Gründer und Direktor des Middle East Forums, das sich in seinen Analysen klar für US-Interessen im Nahen Osten einsetzt. Sein Think Tank Campus Watch setzt sich kritisch mit Nahoststudien in den USA auseinander. Kritiker werfen dem bekennenden Republikaner vor, er wolle damit Wissenschaftler mit Israel-kritischer Einstellung einschüchtern.
Seit Mitte der 90er Jahre befasst sich Pipes mit dem Islam, dem Westen, Integration und dem politischen Islam. Seine Prognose für das Zusammenleben von Muslimen und Nicht-Muslimen in Europa ist pessimistisch. Die Schuld dafür sieht er freilich nicht nur bei den Muslimen.
"Wiener Zeitung": Sehen Sie sich als Islamkritiker?
Daniel Pipes: 1999 haben ich in der Los Angeles Times einen Artikel über Muslime in den USA geschrieben. Für meine dortige Kritik an den Islamisten wurde ich in der Folge scharf attackiert. Das war ein Wendepunkt. Vorher war ich nur ein Kommentator, plötzlich wurde ich Teil der Debatte. Doch nach dem 11. September änderte sich der Blickwinkel. Eine zunehmende Anzahl von Leuten in den USA sieht seither im Islam selbst das Problem. Ich unterscheide hingegen zwischen Islamismus und Islam. Daher gelte ich heute eher als moderat, meine Position liegt in der Mitte.
Unterscheiden Sie auch zwischen politischem Islam und traditionellem Islam?
Der traditionelle Islam ist anders Zurzeit propagieren einige Islamisten eine islamische Ökonomie. Noch vor 100 Jahren hätte kein islamischer Gelehrter gewusst, was das sein soll. Die Idee zum Islamic Banking wurde erst in den 30er Jahren entwickelt. Neu ist auch der aggressive Blick auf Nicht-Muslime und das Ziel, die Scharia im Westen einzuführen. In den meisten islamischen Ländern ist nur eine Minderheit der Muslime islamistisch eingestellt.
Auch sogenannte Islamisten stützen sich auf orthodoxe Gelehrte.
Es gibt Wurzeln im traditionellen Islam, etwa beim Gelehrten Ibn Taimiya (1263 bis 1328). Aber entwickelt wurde der politische Islam in den 1920er Jahren von Sayyid Abul Ala Maududi und Hassan al-Banna, dem Gründer der Muslimbrüder. Sie waren damals besonders vom Faschismus Benito Mussolinis beeinflusst, gemäß dem das Volk wichtiger ist als das Individuum.
Wo stützt sich Hassan Al-Banna in seinen Texten auf Mussolini?
Er tut das nicht unbedingt in seinen Texten, aber in der Organisation der Muslimbrüder. Der politische Islam vermischt Islam und politische Ideologie. Er will – wie auch andere Ideologien – eine gerechte Ordnung, zu der die Regierung im Staat der Schlüssel sein soll. Ich vergleiche den Islamismus in all seinen Spielarten mit dem Kommunismus und Faschismus. Sein Ziel ist die Einführung der Scharia. Vor 1000 Jahren war die Scharia besser als die Alternativen. Damals hätte ich lieber in einem islamischen Land gelebt, als in einem christlichen. Heute ist das aber anders. Seither gab es einen Fortschritt.
Ihre Kritik richtet sich freilich gegen anerkannte islamische Institutionen im Westen.
Der politische Islam dominiert die meisten Organisationen, Moscheen, Schulen und Homepages bei uns. Finanzielle Unterstützung bekommt von Saudi-Arabien, dem Iran, Libyen und zunehmend auch von der Türkei. Die Politik sollte Islamisten ausgrenzen und stattdessen moderate Muslime unterstützen.
Sehen Sie Unterschiede zwischen der islamischen Community in den USA und jener in Europa?
In Europa gibt es eine kleine islamische Elite, der Großteil der Muslime gehört der sozialen Unterschicht an. In den USA sind hingegen viele Muslimen Akademiker. Darüber hinaus sind die USA ein Land von Immigranten. Im Gegensatz zu Europa haben sich über Jahrhunderte Mechanismen der Einwanderung und Integration entwickelt.
Sie meinen, dass es Zuwanderer in den USA leichter haben?
Die USA sind keine Familie, wie Europa, sondern eine Idee. Wer einwandert, übernimmt diese Idee. Man ist offener für neue Kulturen und hat keine Probleme mit Immigranten. In Europa ist vielleicht allein Frankreich beides: eine Familie und eine Idee. Für Muslime ist es wesentlich leichter, sich als Amerikaner zu sehen. Der syrische Politikwissenschaftler Bassam Tibi lebte 44 Jahre in Deutschland und wurde nie als Deutscher akzeptiert.
Propagieren Sie diese Offenheit auch für islamische Zuwanderer?
Muslime sind willkommen, sie müssen nur die Grundlagen akzeptieren. Die Islamisten tun das nicht. Sie wollen eine höhere Gesellschaft. Die Chancen für ein friedliches Zusammenleben in Europa sind sehr gering. Auf beiden Seiten hat die Entfremdung in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Ich gebe nicht nur den Muslimen die Schuld. Die europäische Identität macht es ihnen auch schwieriger. Man kann nicht jemanden, der Mohammed oder Fatima heißt, vom Beruf ausschließen. Auch Minarette sind kein Problem. Im Hinblick auf die USA bin optimistischer. Wenn eine zunehmende Anzahl von Amerikanern den Islam selbst als Gefahr ansieht, dann könnte das auch ein Problem werden. Aber an sich sind die USA weniger verschlossen. In Europa werden die sozialen Spannungen zunehmen. Was 2005 in Frankreich geschehen ist, war ein Muster für die Zukunft.