Nach Jahrzehnten des Stillstands befindet sich der Nahe Osten im Aufruhr. Weil zu viel los ist, als dass man sich auf einen einzelnen Ort konzentrieren kann, finden Sie hier einen Überblick über die Entwicklungen in vier Schlüsselstaaten.
Mu'ammar al-Gaddafi in vollem militärischen Gepränge. |
Vielleicht wird Obama Glück haben und Gaddafi wird schnell scheitern. Aber niemand weiß, wer die Rebellen sind und der Einsatz mit offenem Ende wird sich in die Länge ziehen, teuer, terroristisch und politisch unpopulär. Ist das der Fall, dann besteht das Risiko, dass Libyen zu Obamas Irak wird – oder schlimmer, wenn die Islamisten im Land die Macht übernehmen.
Obama will, dass die Vereinigten Staaten in Libyen "ein Partner von vielen" sind und wünschte, er sei der Präsident von China; damit deutet er an, dass dieser Krieg für die US-Regierugn ein großes Experiment ist, um vorzugeben, man sei Belgien. Ich gebe zu, dass ich etwas Wohlwollen für diesen Ansatz habe; 1997 beschwerte ich mich, dass, weil Washington immer wieder einmal vorschnell handelte und Verantwortung für die Beibehaltung der Ordnung übernahm, "der amerikanische Erwachsene andere wie Kinder behandelte". Ich drängte Washington mehr Zurückhaltung zu zeigen und andere das erledigen zu lassen, bis sie Hilfe anfordern.
Das ist das, was Obama auf seine unbeholfene und wenig durchdachte Art gemacht hat. Die Ergebnisse werden mit Sicherheit die zukünftige US-Politik beeinflussen.
Ägypten: Der Oberste Rat der Streitkräfte unterstützte am 19. März ein Verfassungsreferendum, das mit 77 gegen 23 Stimmen beschlossen wurde. Dieser Entschluss hat den Effekt sowohl die Muslimbruderschaft als auch die Überbleibsel von Hosni Mubaraks Nationaldemokratischer Partei zu stärken, während die Säkularisten vom Tahrir-Platz kaltgestellt werden. Damit bestätigte die Militärführung ihre Absicht die fast unmerkliche und lange bestehende einverständliche Arbeit mit den Islamisten fortzusetzen.
Zwei Fakten untermauern dieses geheime Einverständnis: Ägypten wurde seit dem Staatsstreich von 1952 vom Militär beherrscht; und die so genannten Freien Offiziere, die diesen Staatsstreich durchführten, hatten selbst enge Verbindungen zum militärischen Arm der Muslimbruderschaft.
Die "Freien Offiziere" 1952. Beachten Sie, dass Gamal Abdel Nasser links außen sitzt und Anwar el-Sadat rechts außen. |
Der Geist des Tahrir-Platzes war echt und könnte am Ende obsiegen; aber fürs erste heißt es in Ägypten "business as usual", wobei die Regierung die vertraute, quasi-islamistische Linie Mubaraks weiterfährt.
Mahmud Ahmadinedschad gibt 2010 in Teheran eine Party für Bashar al-Assad. |
Als die Winde des Wandels 2011 Syrien erreichten, verloren die Menschenmengen, die Suriya, hurriya brüllen ("Syrien, Freiheit"), ihre Angst vor dem Baby-Diktator. In seiner Panik torkelte Bashar zwischen Gewalt und Beschwichtigung hin und her. Wenn die Dynastie der Assads unter geht, wird das potenziell ruinöse Folgen für die Minderheit der alawitischen Gemeinschaft haben, aus der Assad stammt. Sunnitische Islamisten, die die besten Chancen zur Assad-Nachfolge haben, werden Syrien vermutlich aus dem vom Iran geführten "Widerstands"-Block abziehen, was bedeutet, dass ein Regimewechsel gemischte Folgen für den Westen und besonders für Israel haben wird.
Jemen: Der Jemen hat die größte Wahrscheinlichkeit eines Regime-Sturzes und die größte Chance einer islamistischen Machtübernahme. So unzureichend er als Autokrat und so begrenzt seine Macht auch ist, der gerissene Ali Abdullah Saleh – seit 1978 im Amt – ist ein so guter Verbündeter des Westens gewesen, wie dieser ihn sich wünschen konnte, trotz seiner Verbindungen zu Saddam Hussein und der Islamischen Republik Iran, wie er die Kontrolle über sein Hinterland ausübt, die Hetze beschränkt und die Al-Qaida bekämpft.
Sein inkompetenter Umgang mit den Protesten hat ihn selbst der Militärführung entfremdet (aus der er stammt), ebenso seinem Stamm der Haschid; das bedeutet, dass er die Macht mit wenig Kontrolle darüber abgibt, was nach ihm kommt. Angesichts der Stammesstruktur des Landes, der weiten Verbreitung von Waffen, der Kluft zwischen Sunniten und Schiiten, dem bergigen Gelände und der hindernden Dürre droht als vermutliches Ergebnis eine islamistisch getönte Anarchie (wie in Afghanistan).
In Libyen, Syrien und dem Jemen – und nicht weniger in Ägypten – haben die Islamisten reichlich Gelegenheit ihre Macht auszuweiten. Wie gut wird der im Weißen Haus wohnende ehemalige Muslim*, der so eisern von "gegenseitigem Respekt" in den Beziehungen der USA zu den Muslimen redet, die westlichen Interessen gegen diese Bedrohung schützen?