Zwei Lehrbeauftragte für Politikwissenschaften an der San Diego State University - Emanuele Saccarelli und Latha Varadarajan, argumentieren in ihrem neuen Buch Imperialism Past and Present (Imperialismus in Vergangenheit und Gegenwart, Oxford University Press), dass "westlicher Imperialismus nicht mit dem Ende des Kolonialismus aufhörte, sonder weiterhin auch heute die internationalen Beziehungen bestimmt". Um dieses abgedroschene linke Argument zu stützen, verlassen sich die Autoren - fast vorhersehbar - auf Edward Said. In schwülstigem Akademiker-Sprech erklären sie die Ansichten des Meisters (auf den Seiten 68-69):
"Eines der Vermächtnisse des Orientalismus und in der Tat eine seiner erkenntnistheoretischen Grundlagen", behauptet Said, sei der des "Historismus" - der Glaube, dass die Menschheitsgeschichte von Männern und Frauen gemacht wird, dass jede ihrer Epochen so verstanden werden kann, dass sie eine schlüssige Einheit besitzt und dass sie entweder in Europa ihren Höhepunkt erreichte oder von einem Blickwinkel Europas aus betrachtet werden kann. Es ist dieser Historismus, argumentiert Said, der die Weltsicht von Vico, Hegel, Marx und anderen formte. Anders ausgedrückt: Dieses verallgemeinernde, materialistische, eurozentrische Narrativ ist das, was selbst scheinbar "antithetische Standpunkte als Ideologien westlichen Imperialismus" wie auch die "eigentliche Praxis des Imperialismus" zusammenhält.
Ins Deutsche übersetzt bedeutet das: Westler mit ansonsten gegensätzlichen Ansichten stimmen darin überein, dass Europa das Zentrum der Zivilisation ist. Saccarelli & Varadarajan erläutern dann diese Idee und fügen Saids Trio weitere Namen hinzu:
In Saids Weltbild gibt es im Wesentlichen keinen Unterschied zwischen einem Balfour, einem Marx, einem Rhodes oder einem Lenin. Vielmehr sind, ungeachtet ihrer jeweiligen ausgeprägten Spuren in der politischen Landschaft, aus Saids Perspektive diejenigen erkenntnistheoretischen Verpflichtungen weit fundamentaler, die sie zusammenhalten und sie an die noch längere Abstammungslinie von Aischylos, Dante, Chaucer und Shakespeare auf der einen und Bernard Lewis, Daniel Pipes und Judith Miller auf der anderen Seite.
Anmerkungen:
(1) Aischylos, Dante, Chaucer und Shakespeare sind die erhabenste Gesellschaft, in die ich je erhoben wurde oder in die ich einbezogen sein werde.
(2) Wenn man mich zusammen mit solchen Persönlichkeiten auflistet, dann darf man mich gerne einen Imperialisten nennen.
(3) Natürlich lehne ich jede Verbindung mit Marx und Lenin ab, obwohl (wer weiß?) dies für linke Professoren ein großes Lob darstellen könnte.
(4) Ich war immer der Meinung, dass ich den Nahen Osten und den Islam aus Faszination für seine Zivilisation studiere; in Wirklichkeit, so scheint es, ist das Ausdruck meines inneren Eurozentrismus.
(5) Wenn "erkenntnistheoretische Verpflichtungen" Westler zweieinhalb Jahrtausende lang verdorben haben, was macht Saccarelli & Varadarajan so sicher, dass ausgerechnet sie ihrem Zugriff entkommen sind?
(6) Nur Europäer haben ein großes Wissensgebäude zu anderen Zivilisationen geschaffen; demgegenüber verstehen andere das europäische Leben kaum. Für ein Beispiel für die extreme Oberflächlichkeit Letzterer lese man das wunderbare Buch The Muslim Discovery of Europe (Die Welt der Ungläubigen. Wie der Islam Europa entdeckte) von niemand Geringerem als Bernard Lewis aus dem Jahr 1982 (meine Rezension ist hier zu lesen).
(22. Juli 2015)