1961 war das deutsche Nachkriegs-Wirtschaftswunder in vollem Gang; es bestand ein scheinbar unstillbarer Durst nach ungelernten Arbeitskräften. Nach der Unterzeichnung von bilateralen Regierungsabkommen mit Italien (1955), Griechenland (1960) und Spanien (1960) wandte sich Bonn an Ankara und unterschrieb am 30. Oktober 1961 das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei. Keine von beiden Seiten begriff die Folgen dieser scheinbar unbedeutenden Vereinbarung.
Der türkische Arbeitsminister Ali Naili Erdem besuchte 1966 türkische "Gastarbeiter" in Deutschland. |
Die deutsche Regierung richtete in Istanbul ein Verbindungsbüro ein, um unverheiratete männliche Kandidaten zur Bewerbung aufzufordern, was diese in großer Zahl begeistert taten. Die Vereinbarung erlaubte den Türken, für die Dauer von zwei Jahren zum Arbeiten nach Deutschland zu reisen und dann nach Hause zurückzukehren. Aber die deutsche Industrie warb heftig für längere Aufenthaltszeiten - die ständige Ausbildung zur Ersetzung von Arbeitern alle zwei Jahre forderte ihren Tribut - weshalb diese Beschränkung bereits 1964 aufgehoben wurde. Aber niemand rechnete damals damit, dass die Türken lange bleiben würden und ihre Jobs erforderten nicht, dass sie Deutsch lernten, also lebte die überwiegend männliche Bevölkerungsgruppe in ihren eigenen Wohnheimen, ziemlich isoliert von der übrigen Gesellschaft. Von den 750.000 Türken, die mit diesem Programm ankamen, kehrte etwa die Hälfte in die Türkei zurück, die andere Hälfte nicht.
Die Blütejahre endeten mit der Ölkrise von 1973/74, die das Anwerbung von Gastarbeitern beendete. Ironischerweise führte diese Veränderung zu einer Zunahme der türkischen Bevölkerung, da die Arbeiter ihre Ehefrauen nachholten, in Wohnungen zogen, Familien gediehen und die heutigen stark türkisch bewohnten Viertel im gesamten (ehemaligen West-) Deutschland entstanden.
Eine Mischung aus der deutschen und türkischen Flagge, die symbolisiert, was nur zu selten geschieht. |
Fünfundfünfzig Jahre später gibt es kaum Bedarf für ungelernte Arbeitskräfte und die kulturelle Isolation erweist sich als großes Problem; die türkische Bevölkerung zählt geschätzte 4 bis 5 Millionen, was mehr als 5 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes und damit die bei weitem größte Immigrantengruppe ausmacht. Die Vereinbarung von 1961 scheint aus einem völlig anderen Zeitalter zu stammen, doch was sie hinterließ lebt weiter und nimmt unaufhörlich zu. (30. Oktober 2016)