Der angesehene Historiker Niall Ferguson hat sein (und mein) Forschungsfeld in einem Vortrag für das American Council of Trustess and Alumni vernichtend kritisiert; er wurde später als "The Decline and Fall of History"[1] veröffentlicht.
Er beginnt mit der empirischen Tatsache, dass Studierende vor dem Studium der Geschichte davonlaufen: Verglichen mit 1971 (zufällig dem Jahr, in dem ich meinen Bachelor of Arts erhielt) "hat sich der Anteil der Geschichts- und Sozialwissenschaften halbiert, von 18% im Jahr 1971 auf 9%. Und der Niedergang scheint weiterzugehen."
Niall Ferguson bei der Übergab des Merrill Award des ACTA in der Folger Shakespeare Library am 28. Oktober 2016 |
Warum ist das so? Daten der American Historical Association stellen fest, dass es in den letzten 40 Jahren
eine sehr starke Zunahme der Zahl der Historiker [gab], die sich auf Frauen und Gender spezialisieren, von 1% der Gesamtzahl auf fast 10%. Als Ergebnis ist Gender in der akademischen Welt heute die wichtigste Teildisziplin. Kulturgeschichte liegt an zweiter Stelle (von unter 4% auf fast 8%). Die Geschichte von Rassen und Ethnien ist ebenfalls mit einem Faktor von mehr als drei nach oben gegangen. Auch Umweltgeschichte ist ein großer Gewinner.
Die Verlierer dieser strukturellen Verschiebung sind diplomatische und internationale Geschichte (die zudem die ältesten Professoren haben), Rechts- und Verfassungsgeschichte und intellektuelle Geschichte. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte haben ebenfalls einen Rückgang erlebt. [Fast] alle davon sind auf weniger als die Hälfte ihres Anteils am Berufsstand im Jahr 1970 gefallen.
Das bedeutet, dass die bedeutendsten Ereignisse ignoriert werden. Beschränkt man sich auf die moderne Geschichte des Westens, dann decken die Kurse kaum Themen wie die Französische Revolution, die Industrielle Revolution, den Ersten Weltkrieg, den Zweiten Weltkrieg und den Kalten Krieg ab. Stattdessen begegnet man einem Kurs wie Harvards History 1954: "Emotionen in der Geschichtsschreibung", dessen Kursbeschreibung sich wie folgt liest:
Wo hat Emotion in der Geschichtschreibung ihren Platz? Die Frage selbst beinhaltet zahlreiche Bedeutungen und in diesem Kurs betrachten wir besonders zwei davon: Wie schreibt man die Geschichte der Emotion(en) und wie beeinflussen die Emotionen des Historikers das Schreiben von Geschichte. Profitieren Historiker stärker von der Nähe oder von der Distanz zu ihren historischen Themen? Sollten Emotions-Historiker ihre Empathie-Gefühle unterdrücken oder kultivieren? Fällt emotionales Schreiben beim Test wissenschaftlicher Genauigkeit und Ausgewogenheit unausweichlich durch? Wir werden einige mögliche analytische Gerüste für die Geschichte der Emotion und Diskussion über die Subjektivität der Geschichtsschreibung untersuchen und ihre Anwendung auf Fallstudien betrachten, die wir aus der Geschichte Australiens beziehen.
Ferguson berichtet die "nicht völlig überraschende" Tatsache, dass "Emotionen in der Geschichtschreibung" von genau einem Studenten belegt wurde. Yale tritt mit eigenen Angeboten wie "Hexerei und Gesellschaft im kolonialen Amerika" und "Geschichte des Übernatürlichen" an.
Ferguson vermerkt taktvoll, dass er "keines dieser Themen als uninteressant oder wertlos abtun möchte. Sie schienen lediglich weiniger wichtige Fragen anzusprechen, als die, wie die Vereinigten Staaten zu einer unabhängigen Republik wurden, die eine Verfassung auf Grundlage der Idee beschränkter Regierung wurden."
Diese Art von Geschichtsschreibung nimmt sich nicht nur nebensächlicher Anliegen an, sondern sie behandelt sie auch auf miniaturhafte Weisen, die auf das hinauslaufen, was ein Student "Erbstück-Liebhaberei" titulierte und was Ferguson Microcosmographia Academica nennt – sich auf Themen wie "die Gewohnheiten von Restaurantbesuchern der 1870-er Jahre oder das Makeup verschiedener ethnischer Gruppen der Karibik in Gegenden von Brooklyn, die die Teilnehmer am Umzug zum Westindien-Tag in den 1960-er Jahren bildeten" (tatsächliche Beispiele) konzentriert.
Schließlich gibt es die Politisierung, Moralisierung und das anachronistische Beharren darauf, "die Vergangenheit mit den moralischen Standards der Gegenwart" zu beurteilen – "und ihre Spuren in der Tat in einer Art moderner Bilderstürmerei auszulöschen, wenn diese für beleidigend gehalten werden".
Während also Historiker "die entscheidenden Ereignisse der Geschichte der modernen Welt zugunsten von Themen vernachlässigen, die entweder obskur oder Agitprop, manchmal beides sind", gehen die Studenten stiften und es zeichnen sich die "Vereinigten Staaten von Amnesia" ab.
Ein Bravo an Niall Ferguson dafür, dass er auf die Aushöhlung eines einst großen Forschungsfeldes hinweist.
(4. April 2017)
[1] Der Niedergang und Sturz der Geschichte