Am 7. März 2012 sprach der bekannte amerikanische Publizist und Historiker Daniel Pipes in Bern zum Thema "Religiöse Minderheiten in einem zunehmend intoleranten Nahen Osten" im Rahmen einer Veranstaltungsreihe der Menschenrechtsorganisation "Christian Solidarity International". Als Gründer und Direktor der Denkfabrik Middle East Forum engagiert sich Pipes für die amerikanischen Interessen sowie die Bekämpfung des Radikalismus im Nahen Osten. Dominik Lusser von Zukunft CH nutzte den Aufenthalt des Islamkenners jüdischer Abstammung in der Schweiz zu einem kurzen Gespräch.
Zukunft CH: Die Lage der Minderheiten in Ägypten oder anderen islamischen Ländern hat sich nach dem "Arabischen Frühling" nicht verbessert – im Gegenteil. Was könnten oder sollten die europäischen Regierungen dagegen tun?
Pipes: Diese Frage ist schwer zu beantworten. Einerseits weil ausländische Regierungen inklusive der europäischen nur beschränke Mittel zur Verfügung haben, anderseits weil die Verbesserung der Menschenrechte nicht das einzige Ziel der Aussenpolitik sein kann. Von daher bevorzuge ich eine Politik, welche die Rechte religiöser oder anderer Minderheiten nicht bloss darum in die Aussenpolitik aufnimmt, weil sie darin eine moralische Verpflichtung sieht, sondern weil Regimes, die ihr eigenes Volk verfolgen, auch am häufigsten geneigt sind, sich in ausländische Abenteuer zu stürzen. Die Details einer solchen Politik müssten im Kontext der jeweiligen Situation ausgearbeitet werden.
Zukunft CH: Ist der Islam eine Gefahr für Europa?
Pipes: Viele der wachsenden muslimischen Bevölkerungsteile Europas streben danach, die historisch gewachsene europäische Zivilisation durch eine islamische Zivilisation zu ersetzen. Dies bedeutet einen fundamentalen und meiner Meinung nach grossen Rückschritt. Warum, nebenbei bemerkt, kommen so viele Muslime nach Europa und ziehen nicht Europäer in grosser Zahl in Länder mit muslimischer Mehrheit?
Zukunft CH: Immer wieder gibt es Forderungen bezüglich der Einführung der Scharia in europäischen Ländern. Sollte die Schweiz Scharia-Recht in ihre Gesetzgebung integrieren?
Pipes: Die Schweiz sollte Scharia-Recht zurückweisen, weil dieses einen Gesetzescodex darstellt, der dem existierenden fundamental widerspricht. Das erste Grundprinzip der Scharia zum Beispiel ist die Überordnung der Muslime über Nicht- Muslime.
Zukunft CH: Die Organisation der Islamischen Kooperation (OIC) hat im Dezember 2011 mit Einverständnis der Obama-Regierung in Washington eine Konferenz abgehalten. Eine nächste Konferenz soll schon bald in Brüssel stattfinden. Das Ziel der OIC ist es klar, ein Verbot von Islamkritik im internationalen Recht zu verankern. Warum stehen die Regierungen Europas und der USA nicht entschiedener für die Meinungsfreiheit ein?
Pipes: Ich nehme einen Mix verschiedener Motive wahr: 1. Der Wunsch, den Saudis zu gefallen. 2. Eine Sympathie für Muslime. 3. Die Bemühung, die Integration der Muslime in den westlichen Ländern zu fördern. 4. Das Vertrauen, dass der bestehende Schutz der Redefreiheit ausreichen würde.
Zukunft CH: Wie stehen Sie zur einer möglichen Mitgliedschaft der Türkei in der EU?
Pipes: Die türkische Mitgliedschaft in der EU ist eigentlich nahezu unmöglich, besonders weil die derzeitige Führung in Ankara das Land in eine Richtung bewegt, die es von Europa entfernt. Ich begrüsse dies, da ich einen türkischen Anschluss als schädlich betrachte.