Manche Leute glauben an den verlorenen Kontinent Atlantis und an UFOs. Andere machen sich Sorgen wegen einer Geheimgesellschaft des 18. Jahrhunderts namens Bavarische Illuminati" oder eine mythische, zionistische besetzte Regierung, die heimlich die Vereinigten Staaten beherrscht.
Was würde passieren, wenn diese grundverschienenen Elemente ihren Glauben teilten, sich zusammen täten, ein viel größeres Publikum gewönnen, aus ihrem intellektuellen und politischen Ghetto ausbrächen und in die Lage kämen, die Grundlagen des öffentlichen Lebens in den USA herauszufordern? Das ist die erschreckende Aussicht, die von Michael Barkun in seinem wichtigen, gerade veröffentlichten Buch A Culture of Conspiracy: Apocalyptic Visions in Contemporary America" (Eine Verschwörungs-Kultur: Apokalyptische Visionen im zeitgenössischen Amerika; University of California Press) ganz nüchtern vorstellt.
Um zu verstehen wie neu dieses Potenzial ist, muss man etwas über die Geschichte der Verschwörungstheorien wissen.
Die Furcht vor einer belanglosen Verschwörung – eines politischen Rivalen oder geschäftlichen Konkurrenten, der Pläne schmiedet, um einem zu schaden – ist so alt wie die menschliche Psyche. Aber Furcht vo reiner großen Verschwörung – dass die Illuminati oder Juden planen, die Welt zu beherrschen – gehen nur neunhundert Jahre zurück und sind seit erst zwei Jahrhunderten in Funktion, seit der französischen Revolution. Die Bedeutung von Verschwörungstheorien wuchs ab damals bis zum Zweiten Weltkrieg, als zwei Erzverschwörungs-Theoretiker (Hitler und Stalin) einander gegenüber standen und den größten Blutpreis der Menschheitsgeschichte verursachten.
Dieses grässliche Spektakel ernüchterte die Amerikaner, die in den folgenden Jahrzehnten Verschwörungstheorien an den äußersten Rand verbannte, wo hauptsächlich zwei Gruppen solche Ideen vertraten.
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Die politisch Unzufriedenen: Schwarze (Louis Farrakhan, Cynthia McKinney), die harte Rechte (John Birch Society, Pat Buchanan) und andere entfremdete Elemente (Ross Perot, Lyndon LaRouche). Ihre Theorie impliziert eine politische Agenda, hat aber nur eine geringe Gefolgschaft.
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Die kulturell Misstrauischen: Dazu gehören die Kennedy-Attentats-Theroetiker", die Ufologen" und diejenigen, die glauben, dass eine Rasse von Reptilien die Erde beherrschen und außerirdische Installationen unter der Erdoberfläche existieren. Solche Themen erfreuen sich enormer Popularität (eine Umfrage im Jahr 2000 stellte fest, dass 43 Prozent der Amerikaner an Ufos glauben), beinhalten aber keine politische Agenda.
Die wichtige neue Entwicklung, berichtet Barkun, Professor für Politik-Wissenschaften an der Maxwell School der Syracuse University, ist nicht einfach nur eine Erosion der Gräben zwischen diesen beiden Gruppen, sondern ihr Zusammenschluss mit Okkultisten, Personen, die vom Rationalismus gelangweilt sind. Okkultisten zieht an, was Barkun die kulturelle Müllkippe des Häretischen, des Skandalösen, des Unmodischen und des Gefährlichen" – wie dem Spiritualismus, der Theosophie, der alternativen Medizin, der Alchemie und Astrologie.
Daher ist der Schreiber, der sich darüber Sorgen macht, dass der Secret Service Befehle von den Bavarischen Illuminati erhält, von der alten Schule; derjenige, dem eine Übernahme durch die Vereinigung der Reptilien und Bavarischen Illuminati" Sorge bereitet, befindet sich an der Spitze der neuen Synthese. Diese bizarren Annahmen bilden das, was der verstorbene Michael Kelly die Verschmelzungs-Paranoia" nannte, eine verworrene Absorbierung von Ängsten, aus welcher Quelle auch immer sie stammen mögen.
Die Verbindung von Verschwörungstheorien und Okkultisten folgt aus ihren gemeinsamen, krummen Prämissen. Erstens muss alles weit gehend Akzeptierte notwendigerweise falsch sein". Zweitens muss abgelehntes Wissen – was das Establishment zurückweist – wahr sein.
Das Ergebnis ist ein großes, auf sich selbst zurückgreifendes Netzwerk. Die Advokaten der fliegenden Untertassen vertreten antijüdische Phobien. Antisemiten ziehen Gräben in Peru. Manche Antisemiten sehen Außerirdische, die als Ersatzjuden fungieren; andere glauben, das sie Protokolle der Weisen von Zion" seien das gemeinsame Produkt der Rothschilds und der Reptilien-Arier". Bis Ende der 1980-er Jahre, fand Barkun heraus, hatten praktisch alle Vorstellungen der radikalen Rechten zur neuen Weltordnung ihren Weg in die Ufo-Literatur gefunden."
Die Breitenwirkung der Ufologie verbreitet diese politischen Ideen an ein großes, neues Publikum ideologischer Allesfresser und informiert sich, dass der 11. September entweder eine Aktion der Illuminati oder der Assassinen (einer mittelalterlichen Muslim-Gruppe) war, die Freimaurer angriffen.
Wohin führt dieser ganze Wahnsinn? Der viel von dieser schmutzigen Literatur lesende Barkun argumentiert, dass in den letzten Jahren Ideen, die früher auf ein Publikum am äußersten Rand beschränkt waren, jetzt Allgemeingut der Massenmedien wurden" und dies eine Periode konkurrenzloser" Jahrtausendwechsel-Aktivitäten in den USA eröffnete. Er hat die Sorge, dass die verheerenden Auswirkungen" dieses Spektakels das politische Leben Amerikas zugrunde richten könnten – und sich darüber hinaus weltweit wirksam ausbreitet.
Ich bin optimistischer, vertraue der Stabilität einer ausgewachsenen Demokratie und stelle fest, dass die Amerikaner frühere Verschwörungs-Anfälle ohne großen Schaden überstanden haben. Aber unsinnige, hässliche und schädliche Ideen versagen nicht aus sich heraus; sie müssen bekämpft und unbedeutend gemacht werden. Die Aufgabe beginnt damit zu erkennen, dass es sie gibt und dann Argumente gegen sie ins Feld zu führen.