Ich sage voraus, dass der ISIS-Staat in Syrien und dem Irak so schnell zusammenbrechen wird, wie er aufkam. Ich riskiere sogar zu sagen: Ich erwarte, dass er bis Ende 2016 verschwunden sein wird.
Dass der Islamische Staat (auch bekannt als ISIS, ISIL oder Da'isch) verschwunden sein wird, ist vorhersagbar, weil alle totalitären Staaten irgendwann infolge von drei Hauptentwicklungen verschwinden: Die Kader werden desillusioniert, die untertane Bevölkerung leidet und externe Feinde nehmen an Zahl zu. All diese Probleme befielen zum Beispiel die faschistischen Staaten des Zweiten Weltkriegs sowie den Sowjetblock.
ISIS wird schnell zusammenbrechen, weil er unter einer extremen Form dieser Probleme leidet.
Desillusionierte Kader: Die von ihnen erfahrenen ISIS-Versprechen des Himmels auf Erden stellen sich als eher die Hölle heraus, was viele Rekrutierte die Flucht ergreifen lässt; viele weitere wollen fliehen. Einer zunehmenden Zahl von ISIS-Kämpfern fehlt die Loyalität zur Gruppe, sie mühen sich nur für das Geld oder aus Angst ab. Die Gründe können so banal wie schlechtes Essen und so erhaben wir schlechte Theologie sein, aber die schmerzliche Enttäuschung ist der rote Faden, der aus den Reihen der ISIS-Mitglieder kommt. Radikale Ideologen entwickeln sich zu Büßern; von Drogen vernebelte Kämpfer enden als fast Dahinvegetierende.
Die britische Zeitung Express berichtete über das Stöhnen über ISIS. |
Leidende untertane Bevölkerung: ISIS unterdrückt die unglücklichen Millionen, die in einem Gebiet von etwa dem Ausmaß Großbritanniens unter seiner Herrschaft leben. Zwar profitieren ein paar wenige von dem System, aber die große Mehrheit leitet unter der engherzigen Gleichgültigkeit, der Verarmung, Willkürregeln, Brutalität und dem Sadismus, der das Herrschaftsgebiet des ISIS kennzeichnet. Diese Untertanenbevölkerung wird rebellieren, wann immer sich die Gelegenheit ergibt.
Externe Feinde: ISIS scheint stolz darauf zu sein sich so viele Feinde wie möglich zu machen, was sein Reinheitszeugnis aufpolieren dürfte, ihn aber äußerst verletzbar macht. Er verprellte unnötigerweise Jordanien, indem es einen Luftwaffenpiloten bei lebendigem Leib verbrannte; er erzürnte die Türken, indem er in Großstädten Bomben zündete; seine Gewalttaten in Paris, Brüssel und darüber hinaus haben ihn (einschließlich der dort lebenden Islamisten) in einem Großteil des Westens zum Feind Nummer 1 gemacht; er verprellt jeden mit der Zerstörung von Altertümern, dem Einsatz von Giftgas und den auf Video aufgezeichneten Enthauptungen. Seine einzigen Bündnisse bestehen mit ähnlich gesinnten Gruppen wie Boko Haram in Nigeria.
Als Ergebnis davon ist ISIS einzigartig geschmäht worden. Bei einem Treffen ohne Präzedenzfall stimmte zum Beispiel der UNO-Sicherheitsrat im Dezember 2015 einstimmig dafür, weitreichende Wirtschaftssanktionen gegen ISIS zu verhängen. Auf anderer Ebene stellte eine vor kurzem durchgeführte Meinungsumfrage fest, dass die Hälfte der 18 bis 24 Jahre alten Arabisch Sprechenden sagen, ISIS sie das "größte Hindernis, dem der Nahen Osten gegenüber steht", weit stärker als Arbeitslosigkeit, Israel oder der Iran.
Aus der Umfrage unter arabischen Jugendlichen (durchgeführt von ASDA'A Burson-Marsteller). |
Insgesamt verliert ISIS Personal (nach Angaben einer US-Quelle 25.000 Getötete) ebenso an Wirtschaftskraft und Territorium. Führer flüchten in die freundlicheren Grenzen von Libyen. Deserteure verraten Akten mit Kontaktinformationen von ISIS-Mitgliedern. Bombenangriffe vieler Luftwaffen verbunden mit von den Kurden und von Bagdad gestützten Anstrengungen fordern ihren Tribut von ISIS, besonders in finanzieller Hinsicht. 2015 verlor ISIS Baiji, Kobani, Sinjar und Tikrit, was auf 20 Prozent seines Territoriums in Syrien und 40 Prozent im Irak hinausläuft. Diese Verluste gingen 2016 weiter; Ramadi und Palmyra wurden seiner Kontrolle genommen. Der ägyptische Analyst Abdel-Monein Said vergleicht den ISIS von heute mit dem letzten, verzweifelten und todgeweihten Jahr des Nazireichs.
Aber auch, wenn der ISIS-Staat in Syrien und dem Irak dem Untergang geweiht ist, wird ISIS auf andere Weise weiterleben. An erster Stelle steht der Nachfolgestaat in Libyen und vielleicht auch andere in Nigeria, Somalia, Afghanistan und darüber hinaus. Zweitens gibt es die Idee des Kalifats, einem mittelalterlichen Konzept muslimischen Vorherrschaftsanspruchs, das unheilvolle Folgen für das moderne Leben hat.
Lassen Sie uns als eilen den Untergang des Islamischen Staats mit seinem Zentrum in Raqqa (Syrien) herbeizuführen und zu feiern, ohne uns selbst zu vorzumachen, dass ISIS damit insgesamt am Ende ist. Das zu erreichen erfordert leider, die gesamte islamistische Bewegung zu besiegen und zu marginalisieren. Auch das kann eintreten, aber es liegt noch viele Jahre in der Zukunft.
Daniel Pipes (www.DanielPipes.org) ist Präsident des Middle East Forum. © 2016 by Daniel Pipes. Alle Rechte vorbehalten