Nachrichten, dass die Regierungen des Iran und der Türkei in Idlib – einer syrischen Stadt, die heute im Blickfeld amerikanischer Interessen steht – eine Vereinbarung erzielten, holt die Beziehungen zwischen den beiden größten und einflussreichsten Staaten des Nahen Ostens vorübergehend aus dem Schattendasein.
Ihre Rivalität reicht ein halbes Jahrtausend zurück; zu ihr gehören elf Kriege und sie bleibt heute, in den Worten von Soner Cagaptay vom Washington Institute, "das älteste Machtspiel" der Region. Was bedeutet die aktuelle Vereinbarung und wie wird ihre Rivalität die Zukunft der Region beeinflussen?
Die Parallelen im Iran und der Türkei sind bemerkenswert. Beide Länder haben eine Bevölkerung von 80 Millionen. (Ägypten als größtes Land der Region hat 96 Millionen.) In beiden gibt es eine uralte Zivilisation, eine lange imperialistische Geschichte, Spannungen mit Russland und sie sind erfolgreiche dem europäischen Kolonialismus entgangen. In modernen Zeiten kamen beide nach dem Ersten Weltkrieg unter die Herrschaft eines rücksichtslosen Modernisierers, zuletzt gefolgt von einem noch repressiveren Islamisten.
Rücksichtslose Modernisierer: Irans Reza Schah (links) besuchte Atatürk 1934 in der Türkei. |
Die aktuellen Führer, Ali Khamene'i im Iran und Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei, genießen fast absolute Macht und versuchen beide fieberhaft diese Realität unter einem großen und lautstarken Apparat an Wahlen, Parlamenten, Kabinetten, Gesetzen und NGOs zu verbergen. Beide streben danach die gesamte muslimische Gemeinschaft zu führen, vielleicht eines Tages einfordern zu können Kalif zu sein. In einer Ära gedämpften Antizionismus aus arabischen Staaten führen Teheran und Ankara heute die Anklage, wobei die Islamische Republik lautstark den Holocaust leugnet und die Republik Türkei Israelis mit Nazis gleichsetzt.
Sogar noch repressivere Islamisten: Erdoğan aus der Türkei (links) besuchte 2012 Khamenei im Iran. |
Auf mehrere Weisen liegen die Iraner gegenüber den Türken vorn, aber diese holen auf. Ayatollah Khomeini kam 1979 an die Macht, Erdoğan 2002. Der Iran hat lange massive Öl- und Gasreserven genossen, die Türkei baute zuletzt eine beeindruckende wirtschaftliche Basis auf. Teheran stationiert Streitkräfte im Ausland und dominiert vier arabische Hauptstädte, während Ankara noch innenpolitische Oppositionelle bekämpft, besonders Gülenisten und Kurden. Beide Regierungen verachten den Westen, aber der Iran ist offen feindselig, während die Türkei formell in der NATO verbleibt und scheinbar die Mitgliedschaft in der Europäischen Union anstrebt.
Khameneis Strolche nehmen amerikanische Seeleute auf hoher See gefangen, während die Erdoğans eigene Ortsansässige als Geiseln nehmen. Verschwörungstheorien, lange eine Kunstform des Iran, haben sich im Verlauf der letzten zwei Jahrzehnte in der Türkei stark verbreitet und dürften heute die wunderlichsten Spekulationen aufweisen. Beide wurden begeisterte Verbündete von Venezuelas Diktator Nicolás Maduro. Als Kopf einer schon länger bestehenden Diktatur kann Khamenei relativ freie Meinungsäußerung gestatten; im Vergleich dazu hat Erdoğan ein obsessives Verlangen nach Kontrolle, einschließlich dem, was Basketballspieler in den Vereinigten Staaten sagen oder was Transitreisende am Flughafen von Istanbul denken.
Ihr größter Unterschied betrifft die Einstellungen zu ihren Untertanen. Während Khamenei die Unterstützung von nur etwa 15 Prozent der Bevölkerung genießt, kann Erdoğan auf rund 45 Prozent bauen, was ihm eine Legitimität und Selbstvertrauen bietet, von denen Khamenei nur träumen kann. Zum Teil ist dies das Ergebnis eines langen Lebens unter islamistischer Herrschaft, zum Teil von Unterschieden im Pro-Kopf-Einkommen, das im stagnierenden Iran bei nur US$ 4.700 liegt und sich in der Türkei bei $10.700 und steigend befindet.
ausgewählte wirtschaftliche Indikatoren (Weltbank) |
Ein Zusammenbruch des Regimes im Iran ist in Sicht und wird den Islamismus schwächen, Muslime ermutigen sich vorwärts auf eine modernere und moderatere Form ihrer Religion hinzubewegen. Die größere Popularität der türkischen Regierung und die fortschrittlichere Version des Islamismus gibt ihm größeres Durchhaltevermögen, was ihn zu einem um so besorgniserregenderen langfristigen Kontrahenten macht. Damit wird der Nahe Osten wahrscheinlich einen großen Wechsel erleben, bei dem sich der Iran auf dem Kurs zur Mäßigung befindet und die Türkei zur größten Gefahr der Region wird.
Die bilateralen Beziehungen blühten in den ersten Jahren der Herrschaft Erdoğans (2002 – 2010) auf, als man eine islamistische Weltsicht und Verdacht zu US-Absichten im Irak teilte. Aber die Beziehungen verschlechterten sich dann, in erster Linie, weil beide Regime im Ausland und als Nachbarn unvermeidlich aneinander geraten. Der Bürgerkrieg in Syrien, wo Teheran die schiitisch orientierten Jihadisten und Ankara die sunnitischen Jihadisten stützen, ist ihr größtes, aber nicht das einzige Problem. Andere Fragen verschärfen die Beziehungen ebenfalls, so ihre Unterstützung unterschiedlicher Seiten im Jemen, die türkische Installation eines iranische Aktivitäten verfolgenden NATO-Radars und die Türkei gerichtete Unterstützung des Iran für Al-Qaida.
Die Spannungen haben einen Punkt erreicht, an dem Ali Vaez von der Internationalen Krisengruppe Teheran und Ankara "auf Kollisionskurs" sieht. Wird das nicht unter Kontrolle gebracht, dann erwartet er, dass die gegenwärtige Dynamik auf "größeres Blutvergießen, zunehmende Instabilität und größere Risiken für direkte ... militärische Konfrontationen" deutet. Poetischer ausgedrückt: Cagaptay beobachtet, dass der Nahe Osten Raum für "einen Schah oder einen Sultan, aber nicht für einen Schah und einen Sultan" hat.
In diesem Zusammenhang sieht die Vereinbarung von Idlib nach einer Unsoliden und Kurzlebigen aus. Teheran und Ankara werden sich vermutlich bald gegeneinander wenden und ihre immerwährende Rivalität mit erneuertem Elan fortsetzen.
Eine Illustration der Washington Times |
Nachtrag vom 25 August:
Amir Taheri bietet in "Pufing the Turkish Chibouk in Ankara" eine positivere Sicht auf die Beziehungen zwischen Iran und Türkei; darin betont er gemeinsame Feindschaften wie die zur Sowjetunion und den Kurden.