Beachten Sie die Gegensätzlichkeit: Als Matteo Salvini, Italiens Innenminister, vor kurzem Jerusalem besuchte, das er begeistert Hauptstadt Israels nannte, bezeichnete ihn Premierminister Benjamin Netanyahu als "großen Freund Israels". Zuhause beschuldigten ihn allerdings Italiens liberale Juden u.a. wegen seiner Zigeunerpolitik und seines angeblichen "Rassismus gegenüber Ausländern und Migranten".
Matteo Salvini (links) und Benjamin Netanyahu im Dezember 2018in Jerusalem. |
Eine ähnliche Schlacht, bei der der mächtige Staat Israel gegen kleine und schrumpfende jüdische Gemeinden gegeneinander stehen, findet in vielen europäischen Ländern statt, wo ausnahmslos um dasselbe Thema gestritten wird: was die Presse als rechtextreme, populistische, nativistische oder nationalistische Parteien bezeichnet – und die ich zivilisationistische Parteien nenne (weil sie in erster Linie anstreben die westliche Zivilisation zu erhalten). Israels Führung konzentriert sich wenig überraschend auf die Außenpolitik dieser Parteien, betrachtet sie weitgehend als ihre besten Freunde in Europa, während Europas jüdisches Establishment nicht weniger vorhersagbar die innenpolitischen Profile der Parteien betont und sie als unverbesserlich antisemitisch darstellt, sogar eine Rückkehr zu den faschistischen Diktaturen des zwanzigsten Jahrhunderts mutmaßt.
So beschränkt und marginal dieser innerjüdische Kampf der weiteren Welt erscheinen mag, hat es doch große Bedeutung und könnte möglicherweise den zukünftigen Kurs Europas beeinflussen. Das ist ein Ergebnis der einzigartigen moralischen Autorität, die der Holocaust den Juden für die Beurteilung gewährt, wer Faschist ist und wer nicht. Oder in der dezenteren Formulierung des Wall Street Journal: "Während jüdische Wähler in vielen europäischen Ländern einen relativ kleinen Teil der Wählerschaft repräsentieren, hilft der Gewinn ihrer Unterstützung das öffentliche Image der rechtsextremen Parteien zu verbessern." Wenn Jerusalem sich durchsetzt, können sich die Zivilisationisten einfacher und schneller in Europas politischen Mainstream eintreten, Macht gewinnen und ihre vorrangigen Themen der Kontrolle der Zuwanderung und der Bekämpfung der Islamisierung angehen. Wenn das lokale jüdische Establishment sich durchsetzt, werden die Zivilisationisten länger darum kämpfen müssen Legitimität zu gewinnen und daher langsamer Macht erreichen und ihre Ziele viel schmerzhafter erreichen.
Europas Juden
Die in Europa (ohne Russland) lebenden Juden zählen rund 1,5 Millionen unter etwa 600 Millionen Einwohnern oder ein Viertel eines Prozents; das ist etwa dieselbe Zahl wie die der Hindus und ein Zwanzigstel der Muslime. Anders als diese neuen Religionsgemeinschaften haben Juden in Europa eine zweitausendjährige, problembeladene Vergangenheit durchgestanden, die von Ritualmordlügen und anderen Verschwörungstheorien, den Kreuzzügen, Ghettos und Pogromen gekennzeichnet ist und im Holocaust gipfelte. Auch anders als diese wachsenden Migrantengemeinschaften, machen die parallel bestehenden Herausforderungen der muslimischen Massenzuwanderung, ungezügelter Antisemitismus und linker Antizionismus die Lage des europäischen Judentums derart heikel, dass Juden in Frankreich, wo sie weniger als 1 Prozent der Bevölkerung stellen, 2017 fast 40 Prozent der rassisch oder religiös motivierten Gewalttaten durchmachten. Eine aktuelle Umfrage stellt fest, das 38 Prozent der Juden Europas überlegen den Kontinent zu verlassen.
Die Ausstellung "Jerusalem ist jetzt in Berlin" des Jüdischen Museums Berlin zeigt einen Halbmond und einen Stern – islamische Symbole |
Diese historisch von Angst erfüllte Gemeinschaft hält gegenwärtig immer noch ihren Kopf unten. Mit der partiellen Ausnahme von Frankreich tendieren Europas Juden dazu die quasi-antizionistischen Sichtweisen zu übernehmen, um Israels Kritiker zu beschwichtigen. Das erklärt Skandale wie den, dass das Anne-Frank-Haus in Amsterdam den ehemaligen israelischen Premierminister Ariel Sharon mit Hitler gleichsetzte, während eine Ausstellung zu Jerusalem im jüdischen Museum in Berlin fast ausschließlich die muslimische Geschichte und Charakter der Stadt betonte.
Jüdische Leiter schweigen auch weitgehend zur Massenzuwanderung und lenken ihr kollektive Feinseligkeit auf zivilisationistische Parteien, ein Akt jüdischer bürgerlicher Tugend, der vom europäischen Establishment gefordert wird, wenn jüdische Leiter weiter respektiert, ihren Zugang zur Regierung behalten und von den Mainstream-Medien sanft behandelt werden wollen. In Frankreich zum Beispiel mag Gilbert Collard von der Nationalen "ein bedingungsloser Verteidiger" Israels sein, aber sobald man ihn lobt, sieht man sich prompt als Rassist bezeichnet, der von der bessere Gesellschaft ausgeschlossen.
Allerdings behalten einige Zivilisationisten völkisch, verschwörerische und engstirnige Ansichten zu Juden bei; Wachsamkeit ist nötig, um sicherzustellen, dass ihre erklärte Freundschaft nicht nur eine Taktik ist, um Zustimmung und Legitimität zu gewinnen. Aber Zivilisationisten sind nicht das Hauptproblem der Juden. Auf der politischen Ebene propagieren sie keine uneingeschränkte Zuwanderung und einen Multikulturalismus, der Islamisierung nicht toleriert oder gar dazu ermutigt, die zweifach bestehende existenzielle Bedrohung für jüdisches Leben in Europa.
Auf der persönlichen Ebene stellen Zivilisationisten für Juden keine große Gefahr dar; eine sehr umfangreiche Umfrage zu Diskriminierung und Hassverbrechen gegen Juden der Europäischen Agentur für Grundrechte stellte fest, dass "die ernsthaftesten Vorfälle antisemitischer Schikane" zu 30 Prozent von "extremistischen Muslimen" begangen werden, 21 Prozent von Linken und 13 Prozent von Rechten. Mit anderen Worten: Islamisten und Linke zusammen schikanieren Juden viermal mehr als Zivilisationisten.
Trotzdem hofieren viele europäische Juden – und besonders ihre Leiter – auf beschämende Weise das Establishment – politische Parteien, Medien, Bildungsinstitutionen – huldigen der moralischen Überlegenheit genau ausgerechnet die Kräfte, die ihr Leben ruinieren. Um Bat Ye'ors Wortwahl zu verwenden: Sie haben das Verhalten von Dhimmis übernommen (den historischen Status zweiter Klasse für nichtmuslimische Monothisten, die unter muslimischer Herrschaft leben).
Pinchas Goldschmidt |
Als Beispiel dafür beachten Sie Rabbi Pinchas Goldschmidt, den Präsidenten der Konferenz Europäischer Rabbiner. Er warnt äußerst sanft, dass ein Premierminister Jeremy Corbyn Juden dazu veranlassen würde Großbritannien zu verlassen, während er Zivilisationisten emotional verunglimpft, sie stellten eine Bedrohung mit Rückkehr zu "totaler Diktatur" dar und denunzierte ihre proisraelische Politik als illegitime Jagd nach einem bestätigenden "Koscherstempel".
Israel
Die Regierung Netanyahu begrüßt, dass Antiestablishment-Parteien sich den verbal warmen, aber substanziell kühlen Mustern der europäischen Traditionsparteien widersetzen: Während die 3 M (Theresa May aus Großbritannien, Emmanuel Macron aus Frankreich und Angela Merkel aus Deutschland) positiv über Israel reden, machen sie bei der Delegitimierung Israels in den Vereinten Nationen erheblich mit und unterstützen den Iran-Deal, den die meisten Israelis als tödliche Bedrohung betrachten. Allgemeiner betont der israelische Journalist Eldad Beck "die Dualität der deutschen Haltung, in der Berlin seine Verpflichtung zu Israels Existenz und Sicherheit erklärt, während es sich gleichzeitig unterstützend hinter Gremien stellt, die die Existenz und Sicherheit des jüdischen Staates untergraben."
Anders als bei solch platter Politik betrachten zivilisationistische Parteien (wieder mit einer französischen Ausnahme) Israel als moralischen Waffenpartner und Verbündeten gegen den Islamismus. Sie zeigen das durch die Bekämpfung von Antisemitismus, den Bau von Holocaust-Museen, Verurteilung des Iran-Deals, Drängen auf die Verlegung der Botschaften nach Jerusalem, von Israels Sicherheitsdiensten lernen und Israels Interesse innerhalb der Europäischen Union schützen. Geert Wilders aus den Niederlanden lebte ein Jahr lang in Israel und besuchte das Land seitdem Dutzende Male. Dass Europas Juden dort sicherer leben, wo Zivilisationisten strenge Kontrollen für Migration anordnen, verstärkt nur die israelische Wertschätzung; wie Evelyn Gordon festhält, "berichteten Ungarns 100.000 Juden 2017 nicht einen einzigen Übergriff, während Britanniens 250.000 Juden 145 solche meldeten".
Januar 2015: Zwei belgische Soldaten standen vor dem jüdischen Museum in Brüssel, wo ein Islamist im Mai 2014 vier Menschen getötet hatte. (Bild: Daniel Pipes) |
In Reaktion auf diese Wärme und Sicherheit kooperiert Israels Regierung zunehmend mit Zivilisationisten – sieht sich dann aber dem Zorn der Juden Europas ausgesetzt, die zu schützen es geschworen hat, was in etwas wie eine Sackgasse führt. Beispielsweise wünscht Jerusalem eindeutig Zusammenarbeit mit Österreichs proisraelischer Außenministerin Karin Kneissl, die der zivilisationistischen Partei des Landes angehört, aber Österreichs Juden haben dieses Projekt heftig verurteilt, sind so weit gegangen zu warnen, dass sie Jerusalem "bekämpfen werden".
Schlussfolgerung
Zwei einleitende Punkte: Natürlich ist weder das europäische Judentum noch Israels Regierung monolithisch. Paula Bieler in Schweden, Gidi Markuszower in den Niederlanden und Davis Lasar in Österreich sitzen für ihre zivilisationistischen Parteien im Parlament; Juden in der AfD unterstützt Deutschlands Zivilisationisten. Im Unterschied dazu verhält sich Israels Präsident Reuven Rivlin wie ein dhimmi: Als er in einer Londoner Zeitung über Antisemitismus schrieb, vermied er höflich sogar den Namen Corbyn zu erwähnen, während er sonst Zivilisationisten brutal als "neofaschistische Bewegungen" bezeichnete, "die beträchtlichen und sehr gefährlichen Einfluss haben" (das, obwohl er "ihre starke Unterstützung für den Staat Israel" anerkennt). Im Einklang mit dieser Haltung lehnte Rivlin ein Treffen mit Salvini ab.
Zweitens haben diese europäische Spannungen einen amerikanische Parallele: Israels Regierung hat weit bessere Beziehungen zur Administration Trump als das jüdische Establishment der USA. Symbolisch dafür war Donald Trumps Besuch in Pittsburgh, um die 11 Juden vom Massaker in einer Synagoge zu betrauern; die örtliche jüdische Gemeinde protestierte gegen seine Anwesenheit, weshalb nur der israelische Botschafter in den Vereinigten Staaten übrig blieb, um den Präsidenten willkommen zu heißen.
Wenn der Kampf hitziger wird, ist der Ausgang praktisch vorprogrammiert: Staatsräson wird letztendlich israelische Regierungen dazu treiben sich über lokale jüdische Sorgen hinwegzusetzen, was deren Stimme immer schwächer machen würde. Diese Evolution wird etwas Gutes sein, denn Zivilisationisten sind nicht die Bedrohung der 1930-er Jahre, wie sie von Oppositionspolitikern und Mainstream-Medien hingestellt werden, sondern eine gesunde Reaktion auf ein außergewöhnliches Problem. Tatsächlich gilt: Je schneller die israelische Stimme vorherrscht, desto besser für alle - Europa, seine jüdische Bevölkerung und den Staat Israel. Die einzige Frage lautet, wie bald das geschehen wird.
Update vom 27. Januar 2019:
Deborah Lipstadt, eine amerikanische Historikerin, liefert heute ein perfektes Musterstück der Kritik der Diaspora an Israels Regierung; sie schreibt, ihre
politische Führung hat sich selbst Scheuklappen angelegt, während die [antisemitische] Bedrohung heraufzieht. Premierminister Benjamin Netanyahu hat Ungarns autoritären Premierminister Viktor Orbán als "wahren Freund Israel" gepriesen, der "der Notwendigkeit den Antisemitismus zu bekämpfen" verpflichtet sei. ... Herr Netanyahu ist bezüglich seines Entgegenkommens gegenüber Polens fremdenfeindlicher, rechter Regierung ähnlich fehlgeleitet und ahistorisch gewesen.