Gamal Abdel Nasser, der charismatische Herrscher Ägyptens, starb heute vor 50 Jahren. Während seiner achtzehn Jahre an der Macht (1952 bis 1970) dominierte er den Nahen Osten und selbst heute noch besteht an ihm ein starkes Interesse.
Beiruts "Al-Akhbar" verkündete am 24. September: "Ein halbes Jahrhundert nach seinem Ableben ... ist Gamal Abdel Nasser die Zukunft." |
Nach Angaben von Googles Ngram ist das Wort "Nasserist" in englischsprachigen Büchern seit 1970 stetig immer öfter aufgetaucht. Ein libanesischer Zeitungsartikel verkündete letzte Woche "Nasser ist die Zukunft", nannte ihn den "unsterblichen Führer" und proklamierte, dass er "eine Notwendigkeit" bleibt", um "sich den aktuellen Herausforderungen zu stellen, auch weil seine Ideen und Entscheidungen eine solide Brücke zum Umgang mit der Zukunft bieten".
Die Schlagzeile der "New York Times" vom 29. Sept. 1970: Nasser stirbt an Herzinfarkt; wird als Schlag für Friedensbemühungen betrachtet. |
In den Berichten zu Nassers Tod vermittelten die Schlagzeilen der New York Times lapidar sowohl die huldvolle, positive Berichterstattung, die er bei Westlern genoss, als auch ihren Glauben an seine durchgängige Beliebtheit bei den Arabern: "Als Schlag für Friedensbemühungen betrachtet", "US-Vertreter sehen Periode der Instabilität im Nahen Osten kommen", "Die arabische Welt ist todunglücklich". Die wahre Geschichte hingegen sah ziemlich anders aus; Nassers Herrschaft brachte Ägypten Unheil in Form von politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Niedergang.
Bei seinem Staatsstreich 1952 war Nasser ein 34-jähriger Oberst und der erste indigene Ägypter, der seit der Zeit der Pharaonen regierte. Seine Ambitionen waren so gewaltig, wie seine Ideen wahnhaft waren. Er stürzte einen König und setzte eine unterdrückerische Militärherrschaft ein, die 68 Jahre später immer noch anhält. Er enteignete Großgrundbesitzer genauso wie kleine Händler, verjagte dann levantinische Unternehmer – hauptsächlich Italiener, Griechen und Libanesen – die die Wirtschaft im Gang hielten. Er verfolgte die kleine aber blühende jüdische Gemeinschaft von 75.000 bis zu dem Punkt dass sie heute aus (bei der letzten Zählung) nur noch 10 alten Frauen besteht.
Er verbündete sich mit der Sowjetunion, industrialisierte Ägypten nach sowjetischen Vorgaben und herrschte mit poststalinistischer Brutalität. Verhext von der Fata Morgana alle Arabisch sprechenden Länder unter seine Kontrolle zu bringen, vereinte sich Nasser mit einigen von ihnen und führte gegen Krieg andere. Mehr als jeder sonst richtete er Antizionismus als Hauptsäule des politischen Lebens des Nahen Ostens ein und verwandelte die Frage der palästinensischen Flüchtlinge in palästinensischen Irredentismus. Auf dem Weg initiierte er den Sechstage-Krieg von 1967 und schickte seine Streitkräfte in die einseitigste militärische Niederlage der aufgezeichneten Geschichte.
Nasser erwies sich als Meister in der Kunst der Täuschung. Er gab vor Zivilist zu werden, während er das Monopol des Militärs auf Macht über wirtschaftliche, Sicherheits-, Gesetzgebungs- und juristische Angelegenheiten ausweitete. Er verhängte einen Sozialismus, der Stadtbusse mit zwei Klassen betrieb und gleichzeitig seine Kumpane bereicherte. Seine scheinbare Einheit mit Syrien verbarg einen groben Dominierungsdrang. Seine angebliche Feindschaft gegen Islamisten maskierte einen schmutzigen Kampf um Beute.
Ich kam ein paar Monate nach Nassers Tod nach Ägypten, im Juni 1971. Es war eine aufregende Zeit, um seinen Nachfolger Anwar al-Sadat zu erleben, der das Land öffnete, indem er den Sozialismus, die Verbindung zur Sowjetunion und die außenpolitischen Abenteuer zurückfuhr. Jeder Tag fühlte sich heller an als der vorherige.
Und doch ist Ägypten Nassers Vermächtnis nie entkommen. Sein Regime besteht in einer lockeren Brutalität gegenüber Dissidenten und einer verbissenen Feindschaft gegenüber Israel fort, die den Friedensvertrag überdauert, der vor 41 Jahren unterzeichnet wurde. Es bleibt wirtschaftlich zurück, da pensionierte Offiziere des Militärs wichtiger sind als je zuvor und das Land nicht in der Lage ist sich selbst zu ernähren oder Waren zu produzieren, die die Welt haben möchte. Eine Bevölkerung von 100 Millionen zwängt sich fast komplett in die 8 Prozent Fläche Ägyptens, die das Niltal und das Nil-Delta bilden. Ständige Expansion in Agrarland und die Aussicht auf weniger Wasser im Nil deuten auf zukünftige Krisen hin. Selbst die berühmte ägyptische Baumwolle gibt es nicht mehr.
Wo Ägypter leben; eine nächtliche Aufnahme der NASA aus dem Jahr 2010. |
Auf diese Weise glitt Ägypten von seinem alten Status als führendes von zwanzig Arabisch sprechenden Ländern zu einem Anhängsel ab.
Diese Schlagzeilen der New York Times symbolisierten die Ahnungslosigkeit des Westens bezüglich der tief bösartigen Natur der Herrschaft Nassers. Ein Schlag für Friedensbemühungen? Kaum: Erst nach Nasser konnte Sadat Ägypten aus seiner destabilisierenden Konfrontation mit Israel herausreißen. Eine Zeit der Instabilität? Nein, Nassers Tod beseitigte das zerstörerischste Element der Region. Gramgebeugte Araber? Ein paar, ja; aber viele andere empfanden Erleichterung.
Ägyptens moderne Geschichte bestätigt, dass ein Land, wenn es einem Despoten in die Hände fällt, sehr lange Zeit benötigen kann, um zur Normalität zurückzukehren. Russland, China und der Irak liefern weitere Beispiele; Venezuela, Nordkorea und der Iran bieten aktuellere.
Nasser entspannt mit seinem Seelenverwandten, Fidel Castro. |
Angesichts von Ägyptens trauriger Unbeweglichkeit in Gamal Abdel Nassers 50 Jahre altem Schatten sage ich pessimistisch voraus, dass das Ägypten von 2070 auch in weiteren fünfzig Jahren unter seinem Einfluss leiden wird. Herrscher werden kommen, Herrscher werden gehen, unfähig die Grenzen zu durchbrechen, die er vor so langer Zeit zog.
Daniel Pipes (www.DanielPipes.org @DanielPipes) ist Präsident des Middle East Forum
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Ergänzungen vom 28. September 2020:
(1) Ich schließe Naser in meine Liste folgereichsten Politiker des zwanzigsten Jahrhunderts ein, die alle neue Staaten gründeten: Atatürk (Türkei), Ibn Saud (Saudi-Arabien), David Ben-Gurion (Israel), Gamal Abdel Nasser (unabhängiges Ägypten) und Khomeini (der Islamistische Iran).
(2) Glücklicherweise hat die Prügel von 1967 Nasser bei jungen Ägyptern diskreditiert, die heute dazu tendieren seine Herrschaft als "Zeitalter der Niederlagen" zu betrachten. Umgekehrt wird sich an die Monarchie (wie es der Historiker Tarek Osman ausdrückt) als "liberal, prächtig, kosmopolitisch" erinnert.
(3) Ägyptens jetziger Präsident Abdel-Fattah Al-Sisi, bestätigte, wie sehr sein Regime von Nassers Vermächtnis eingeengt ist, al ser Nasser 2018 als Kämpfer für soziale Gerechtigkeit, kosternlose Bildung und kostenlose Gesundheitsversorgung feierte, sowie als den "Führer der nationalen Unabhängigkeit, der Ägypten ins Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit rückte".
(4) Unter meinen weiteren Texten zu Nasser befinden sich einige Buch-Rezensionen:
- Rezension von "Nasser's Blessed Movement: Egypt's Free Officers and the July Revolution" von Joel Gordon, Orbis, Frühjahr 1993.
- Rezension von "Nasser: The Final Years" von Abdel Magid Farid, Middle East Quarterly, Juni 1995.
- Rezension von "Ike's Gabmle: America's Rise to Dominance in the Middle East" von Michael Doran, Middle East Quarterly, Frühjahr 2017.