Michael Johns Jr. ist MPP-Student im ersten Studienjahr an der Harvard Kennedy School, wo er sich auf "International and Global Affairs" konzentriert. Er ist Mitherausgeber für regionale Sicherheit und den Iran beim Journal of Middle Eastern Politics and Policy, einer Studentenzeitschrift der Harvard Kennedy School.
Michael Johns traf auf Dr. Daniel Pipes, um die Zukunft der Außenpolitik der Vereinigten Staaten im Nahen Osten unter der Administration Biden zu diskutieren.
Dr. Pipes hat einen A.B. und promovierte an der Harvard University; er lehrte an der University of Chicago und in Harvard, bevor er Politik und Strategie am Naval War College lehrte. Dr. Pipes hat einen großen Erfahrungsschatz in Arbeit für die Regierung und Thinktanks: Er diente beim politischen Planungsstab des Außenministeriums und im Vorstand des U.S. Institute of Peace sowie als Direktor des Foreign Policy Research Institute. Er ist Präsident und Gründer des Middle East Forum. Michael war 2016 Praktikant beim MEF.
Sie können der Arbeit von Dr. Pipes auf seiner Internetseite danielpipes.org oder auf seiner Twitter-Seite @DanielPipes verfolgen.
Michael Johns: Was sind die bedeutendsten politischen Veränderungen, die die Administration Biden zum Nahen Osten wahrscheinlich sofort bei Amtsantritt vornehmen wird?
Daniel Pipes: Um das zu beantworten, verweise ich auf zwei grundlegende Dinge: Erstens hat Biden vor, genauso wie Trump mit der Absicht ins Amt kam Obamas Politik umzukehren, das mit Trumps Politik zu tun. Zweitens macht sein halbes Jahrhundert in Regierungstätigkeit Biden zur Personifikation des Establishments der Demokraten. Zusammen führen mich diese beiden Erkenntnisse zur Vorhersage einer sofortigen Rückkehr zu traditioneller und konventioneller Politik. Was die sofortigen Veränderungen in Sachen Nahost angeht: Ich bezweifle, dass Biden viel mehr tun kann als seine Absichten per Telefonanruf an Staatsoberhäupter und mit der Ausgabe von Präsidialerlassen zu tun. Ein Erlass könnte die Zuwanderung aus dreizehn feindlichen oder chaotischen Ländern erlauben, die Trump verbot; eine andere könnte der palästinensischen Autonomiebehörde erlauben ihre Mission in Washington wiederzueröffnen.
Wird der palästinensischen Autonomiebehörde erlaubt ihre Mission in Washington wiederzueröffnen? |
Frage: Vizepräsident Biden hat seine Absicht signalisiert zu Präsident Obamas Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) zurückzukehren, dem Atomdeal mit dem Iran. Wird das eintreten?
Antwort: Die Antwort hängt größtenteils von einem Faktor ab, über den Biden keine Kontrolle hat, nämlich Irans Innenpolitik, denn der Deal ist im Iran genauso umstritten wie in den USA. Die pragmatische Fraktion Rouhani/Zarif will die Vereinigten Staaten zurück in den Deal holen; die von Khamene'i geführte ideologische Fraktion mochte den Deal nie und will einen hohen Preis für den Wiedereintritt verlangen (buchstäblich: Sie fordert eine deftige amerikanische Anzahlung). Angesichts dieser Dynamik plus einer offeneren Lobby-Arbeit in Washington durch sunnitisch-arabische Staaten als in den Jahren Obamas neige ich dazu zu denken, dass die US-Regierung es schwierig finden wird zu akzeptablen Bedingungen wieder in den JCPOA einzutreten.
Die Führer der zwei iranischen Fraktionen: Khamene'i und Rouhani |
Frage: Wie, erwarten Sie, wird die Administration Biden mit Irans aggressivem Handeln außerhalb seiner Grenzen umgehen, besonders im Irak und den Persischen Golf?
Antwort: Obama spielte die Vergehen des Iran herunter, um die Vereinbarung zu erzielen; Biden könnte versucht sein das ebenso zu tun. Abgesehen davon werden die Entwicklungen der letzten vier Jahre eine einfache Rückkehr zum Status quo ante behindern. Innere Opposition gegen den Iran ist zu einem bedeutenden Faktor im Jemen, Libanon und dem Irak geworden, während die Saudis und andere größere Entschlossenheit zeigen sich gegen den Iran zu stellen.
Libanesische Demonstrationen gegen den Iran erreichten New York City, wie hier am 26. Oktober nahe dem Hauptsitz der Vereinten Nationen (© Daniel Pipes) |
Frage: Wie sehr wird die jüngste Kaskade arabisch-israelischer diplomatischer Normalisierung den Nahen Osten neu formen?
Antwort: Sehr. Die Verschiebung in den Beziehungen zwischen den sunnitisch-arabischen Staaten und Israel hat ein lange Entstehungsgeschichte; immerhin wurde der Adallah-Plan 2002 bekanntgegeben, während der letzte offene Krieg zwischen arabischen Staaten und Israel 1973 stattfand (zufälligerweise demselben Jahr, in dem Joe Biden in den Senat einzog). Im Verlauf der Jahrzehnte sind die arabischen Staaten zunehmend unwillig geworden Israel zu bekämpfen und neigen eher dazu mit ihm geschäftlich zu verkehren, ein Trend der von Abstürzen der Energiepreise 2014 und 2020, den JCPOA, eine zunehmende antiislamistische Stimmung und Trumps Drängeln verstärkt wurde. Wenn nicht etwas enorm Unerwartetes stattfindet, dürfte diese Entwicklung weitergehen. Israel hat bereits formelle Beziehungen mit 6 von 22 Mitgliedern der Arabischen Liga; diese Zahl wird wahrscheinlich zunehmen.
Frage: Werden diese Entwicklungen die Art ändern, wie die Administration Biden mit Israel und dem israelisch-palästinensischen Konflikt umgeht?
Antwort: Ja. Das Team Biden neigt dazu Mahmud Abbas und der palästinensischen Autonomiebehörde ein Veto über den Großteil der Nahost-Diplomatie zu geben; das ist diese alte Nuss, die Verbindung, die scheußliche Ansicht, dass der arabisch-israelische Konflikt den Nahen Osten antreibt, dass Fortschritt wobei auch immer den Segen der Palästinenser haben muss. Allgemein gesagt: Führer arabischer Staaten haben die Geduld mit der Verweigerungshaltung der PA verloren und wollen nicht durch sie eingeschränkt werden. Sollte das Weiße Haus bei Khartoum und vielleicht sogar Algier auf Proteste gegen die diskreditierte Verbindung treffen, wird es seine Vorannahmen überdenken müssen.
Frage: Wird Biden eine so schwierige Beziehung zu Premierminister Netanyahu haben, wie es bei Obama war?
Antwort: Ja; vielleicht wird es etwas reibungsloser verlaufen, aber angesichts der zunehmenden Zahl der Antizionisten in der Demokratischen Partei und Bidens langjähriger, überlegener, scheinheiliger und belehrender Haltung gegenüber dem jüdischen Staat werden Spannungen unvermeidlich überwiegen. Hier ist eine Umformulierung eines zeitgenössischen israelischen Berichts zu Bidens Treffen mit der damaligen israelischen Premierministerin Golda Meir aus dem Jahr 1973, in der nur Trumps Name für den von Nixon eingesetzt werden muss, um fast genau auf heute zuzutreffen: "Biden kritisierte die Administration Nixon dafür 'von Israel abgeschleppt' worden zu sein; er beschwerte sich, dass es unmöglich war im Senat eine echte Debatte über den Nahen Osten zu führen, weil Senatoren Angst hätten etwas zu sagen, was jüdischen Wählern nicht gefällt."
Joe Biden traf Golda Meir kurz nachdem er 1973 in den Senat einzog. |
Frage: Auf Twitter gaben Sie letzten Monat Präsident Trump bessere Noten für seine Nahost-Politik als Vizepräsident Biden, außer gegenüber der Türkei, wo sie Trump als "furchtbar" und Biden als "gut" werteten. Warum?
Antwort: Trump ließ Recep Tayyip Erdoğan alles durchgehen bis auf eine bizarre, unwichtige Sache (die Verhaftung von Pastor Andrew Brunson). Einige Beobachter verbinden seine Weichheit mit Trumps finanziellen Interessen in der Türkei, eine Interpretation, die er selbst – eigentümlicherweise – angespornt hat. Aber ich betrachte es eher als eine Instanz einer bizarren Tendenz zu einer innigen Männerbeziehung zu Diktatoren, darunter Wladimir Putin und Kim Jong-un. Im Gegensatz dazu ist Biden in dieser Frage Teil des Mainstreams; er bezeichnet Erdoğan als "Autokraten" und fordert eine härtere Politik gegenüber der Türkei in Fragen wie der Gas-Exploration im Mittelmeer, der Luftwaffenbasis Incirlik und den Kurden.
Frage: Obama schreckte die Demokratiebewegung gegen ein feindliches Regime im Iran ab und ermutigte sie gegen ein befreundetes Regime in Ägypten; welche Rechnung steckte hinter dieser Haltung und werden wir mit Biden eine Wiederholung davon erleben?
Antwort: Das ist ein klassischer Fall von zweierlei Maß, des sanften Umgangs mit einem Feindregime im Versuch es zu locken, und barschen Umgangs mit einem Verbündeten, weil er einem unter die Haut geht. Denken sie an Russland und Polen oder an China und Taiwan. Obama setzte seinen außenpoltischen Ruf auf einen Deal mit dem Iran und ließ sich von einem lästigen Bürgeraufstand nicht in die Quere kommen; zudem mochte er Mubarak nicht und sah keinen Grund ihm zu Hilfe zu kommen. Ich erwarte, dass Biden beide Muster wiederholt, wenn auch weniger intensiv.
Der damalige Vizepräsident Joe Biden spricht 2014 an der Harvard Kennedy School. |
Frage: Die Administration Trump hat gerade den Abzug tausender Soldaten aus dem Irak und Afghanistan angekündigt. Sind diese Entscheidungen weise?
Antwort: Nein, sie öffnen den Weg zu weiterem Zusammenbruch in den beiden Ländern, Ländern, in denen die Vereinigten Staaten tausende Leben verloren und Milliarden Dollar investiert haben. Diese abrupte Veränderung in letzter Minute ist wahrscheinlich das Resultat von Trumps Gefühl, dass er sein Versprechen halten muss zu beenden, was er Amerikas "ewige Kriege" nennt. Aber angesichts der Tatsache, dass er in ein paar Wochen ein Privatbürger sein wird, ist es höchst unverantwortlich, dass er diese wichtige Initiative so spät in seiner Amtszeit beginnt.
Frage: Wo lässt das die nachfolgende Administration stehen?
Antwort: Sie steht vor der unattraktiven Wahl die von Trump hinterlassenen vollendeten Tatsachen zu akzeptieren oder sie rückgängig zu machen. Letzteres wird keine einfache Aufgabe sein, sieht man, wie der Abzug die Einstellungen in den fremden Ländern und in den USA verändert. Kurz gesagt: Trump hinterließ seinem Nachfolger eine Stinkbombe im Schreibtisch des Oval Office.
Daniel Pipes (www.DanielPipes.org @DanielPipes) ist Präsident des Middle East Forum
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