David Hume (1711 – 1769) |
"Die Engländer sind vielleicht das bemerkenswerteste aller Völker, die es jemals in der Welt gab", schrieb der schottische Philosoph David Hume 1748.[1] Zum Teil angestoßen durch diese Beobachtung und zum Teil durch Englands aktuelles Wiederaufkommen als eigenständige politische Einheit fragte ich mich: "Wer sind die Engländer?"
Auf der Suche nach einer Antwort fand ich Regale, die unter Büchern und Artikeln zum englischen Nationalcharakter stöhnten, viele von angesehenen Persönlichkeiten geschrieben. Leider stellt jedoch heraus, dass ihr kombiniertes Wissen massive Widersprüche hinausläuft.
Der bedeutende Historiker Mandell Creighton brachte mich zu der Beobachtung, dass "die Engländer das erste Volk waren, das für sich einen Nationalcharakter bildete". Dann definierte er dessen dominierendes Motiv als "den sturen Wunsch seine Sachen selbst auf eigene Weise zu regeln, ohne Einmischung von außen".[2]
Viele stimmen diesem Gedanken eines die Unabhängigkeit liebenden englischen Volks zu. Der liberale Philosoph John Stuart Mills vermerkte, "wie abstoßend etwas wie Gepolter für den englischen Charakter ist", was seine "verbissene Entschlossenheit ... sich nicht gängeln zu lassen" verstärkt statt sich davon einschüchtern zu lassen.[3] Der dreimalige britische Premierminister Stanley Baldwin pries seine Mitbürger: "Der Engländer ist für Krisenzeiten, für Notlagen gemacht. Er ist in Schwierigkeiten abgeklärt, könnte aber in einfachen Zeiten gleichgültig erscheinen"[4] David Cameron definierte – noch als zukünftiger Premierminister – britisch zu sein als "rechtsstaatliche Freiheit".[5]
Aus dem Theaterstück "No Sex Please, We're British" von 1971 wurde ein beliebter Film gemacht. |
Wie überzeugend auch immer das ist, andere englische Autoren sind anderer Ansicht. Edmund Dale, ein mittelalterlicher Historiker, bezeichnete die Engländer als "einfach, grob, geduldig, verbissen".[6] George Orwell fand sie liebenswürdig, abgeschottet, künstlerisch unbegabt, nicht intellektuell, nicht sonderlich praktisch, sondern ein "schlafwandelndes Volk", Weltklasse-Scheinheilige und Blumen-Liebhaber.[7] Somerset Maugham war der Meinung: "Die Engländern sind keine sexuelle Nation",[8] was ein wenig von Anthopologen Geoffrey Gorers massiver Umfrageforschung bestätigt wird ("ein geringes Interesse an sexuellen Aktivitäten").[9] Mein Kollege Sam Westrop bietet die vielleicht originellste Formulierung: "Englisch zu sein ist der Quantenzustand sowohl lauter Erleichterung, dass wir keine Franzosen sind, und eines stillen Wunschs mehr wie sie zu sein."[10]
Wo wir schon von den Franzosen reden: Der Romanautor Honoré de Balzac bezeichnete den Engländer als vornehm.[11] Der spanische Schriftsteller Salvador de Madariaga betrachtete ihn als Mann der Tat.[12] Der Belgier Maciamo Hay hielt ihn für "unabhängig orientiert, höflich, kritisch, launenhaft, klassenbewusst, polarisiert, anwendungsorientiert, unternehmerisch, humorvoll, zurückhaltend".[13] Der amerikanische Philosoph Ralph Waldo Emerson konzentrierte sich auf "Schneid".[14] Der amerikanische Historiker Henry Steele Commager bezeichnete ihn als "so nüchtern, so stur, so materialistisch".[15] Ausländische Fokus-Gruppen kehrten wiederholt zu drei Worten zurück: zurückhaltend, stockkonservativ und versnobt.[16]
Nahostler haben allgemein eine geringe Meinung von den Ingliz. Ein Liedchen aus der osmanischen Zeit befand ihn für "areligiös".[17] Jamal al-Din al-Afghani, ein früher Islamist, behauptet, dass er "wenig Intelligenz besitzt, große Ausdauer hat; er ist ambitioniert, habgierig, stur, geduldig und hochmütig".[18] Der iranische Schrifsteller Jahangir Amuzegar verkündete, die Briten sind "kalt, ausgekocht, selbstbeherrscht, respektvoll".[19] M. Sıddık Gümüş, ein türkischer Verschwörungstheoretiker, nannte sie "ein selbstgefälliges und arrogantes Volk".[20]
Peter Mandler: Der englische Nationalcharakter Die Geschichte einer Idee von Edmund Burke bis Tony Blair |
Mit Blick auf das größere Bild schrieb Gorer 1955, dass der "grundlegende englische Charakter sich in den letzten 50 Jahren und wahrscheinlich noch länger sehr wenig geändert hat".[21] Im Gegensatz dazu begutachtete der Historiker Peter Mandler englische Ideen zu ihrem Nationalcharakter in der Zeit von 1800 bis 2000 und stellte fest, dass diese sich ständig veränderten.[22]
Zusammen sagten mir diese Berichte, dass die Engländer (widersprüchlich) abgeklärt und launenhaft sind; brüderlich und selbstgefällig; überheblich und respektvoll; scheinheilig und vornehm; stur und humorvoll. Überflüssig anzumerken, dass eine solche Reihe an Gegensätzen uns überhaupt nichts sagt. Das erinnert an eine astrologische Vorhersage, die für morgen Freude und Kummer ebenso voraussagt wie Gelassenheit und Tumult, Gewinn und Verlust.
Vielleicht ist das so, wie es sei muss. Daniel Defoe schrieb 1701: "aus einer Mischung von allem begann / das heterogene Ding, ein Engländer".[23] 2004 tat die Journalistin Amelia Hill die ganze Anstrengung ab: "Abgesehen von den weißen Klippen und dem schlechten Wetter ist nichts für immer England und so alt die Suche nach dem Wesen des Englischen ist, sie ist eine Scheinjagd."[24]
David Hume geht paradoxerweise weiter; er bestreitet die Richtigkeit des Themas: "Von allen Menschen im Universum haben ausgerechnet die Engländer am wenigsten Nationalcharakter, außer diese eine Besonderheit geht als solcher durch."[25] Und wenn das 1748 stimmte, wie viel mehr wird es heute nach der umfangreichen Zuwanderung gelten.
Damit kommt meine impressionistische Studie zum Stillstand und lässt mich verwirrt zurück. Trauriger und nicht weiser verlasse ich die Suche nach dem englischen Nationalcharakter und kehre zu diesem einfacheren Thema zurück, dem ich mich normalerweise widme, dem Nahen Osten.
Daniel Pipes (DanielPipes.org, @DanielPipes) ist Präsident des Middle East Forum
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Daniel Pipes an der Pumpe der Kapelle des King's College, als diese noch einen Hebel hatte. Cambridge, England, im September 1953. |
Ein typisches englisches Hotel und die Illustration des "The Critic" für diesen Artikel. |
[1] David Hume: Of National Characters. The Philosophical Works. Edinburgh (Black and Tait) 1826, Bd. 3, S. 234.
[2] Mandell Creighton:The English National Character. London (Henry Frowde) 1896, S. 8, 11. Umgekehrt betrachtet Krishan Kumar: The Making of English National Identity. Cambridge (Cambridge University Press) 2003, Engländertum als zweitragig gegenüber Britentum und seinen imperialen Ambitionen.
[3] John Stuart Mill: The Collected Works of John Stuart Mill. Hg. John M. Robson. London (Routledge) 1963-1991, Bd. 13, S. 459-60.
[4] Stanley Baldwin: What England Means to Me. Rede vor der Royal Society of St George, 6. Mai 1924. Baldwin schrieb dann ein ganzes Buch zu diesem Thema: The Englishman. London (Longmans Green & Co) 1940.
[5] David Cameron: Speech to the Foreign Policy Centre Thinktank. The Guardian, 24. August 2005. Ein weiterer britischer Premierminister (John Major) charakterisierte Großbritannien als "das Land der langen Schatten auf County [Cricket]-Land, warmem Bier, unschlagbaren Vororten, Hundeliebhabern und Pool-Füllern [Fußball-Wettern] und – wie George Orwell es ausdrückte – "alten Jungfrauen, die mit dem Fahrrad durch den Morgennebel zur Heiligen Kommunion fahren". S. "Mr. Major's Speech to Conservative Group for Europe", johnmajorarchive.org, 22. April 1993 (Zugriff am 12. Dezember 2020).
[6] Edmund Dale: National Life and Character in the Mirror of Early English Literature. Cambridge (Eng.: At the University Press) 1907, S. 323. Paul Langford: Englishness Identified: Manners and Character 1650–1850- Oxford (Oxford University Press) 2001 geht diesem Thema zu einer späteren Zeit nach.
[7] George Orwell: England Your England. London (Secker & Warburg) 1941.
[8] W. Somerset Maugham, Vorwort: The Complete Plays. Bd.. 2, S. xii.
[9] Geoffrey Gorer: Exploring English Character. New York (Criterion) 1955, S. 287.
[10] Persönliche Kommunikation, Telegram, 12. Dezember 2020.
[11] Honoré de Balzac: Illusions perdues. Paris (Club français du livre) 1962, Bd. 4, S. 1067.
[12] Salvador de Madariaga: Englishmen, Frenchmen, Spaniards: An Essay in Comparative Psychology. London (Oxford University Press) 1928, S. 1-8.
[13] Maciamo Hay: What Makes English People So Typically English? Eupedia, ohne Datum.
[14] Ralph Waldo Emerson: English Traits. Boston (Houghton Mifflin) 1876, S. 102.
[15] Henry Steele Commager: What the English Are. New York Times, 20. November 1955.
[16] Lee Glendinning: A Typical Briton: Uptight But Witty. The Guardian, 16. November 2004.
[17] Zitiert in: Bernard Lewis: The Muslim Discovery of Europe. New York (W. W. Norton) 1982, S. 174.
[18] Muhammad Basha al-Makhzumi: Khatirat Jamal ad-Din al-Afghani al-Husayni. Beirut (Yusuf Sadr) 1931, S. 131.
[19] Jahangir Amuzegar. The Dynamics of the Iranian Revolution: The Pahlavis Triumph and Tragedy. Albany (N.Y.: State University of New York Press) 1991, S. 99-100.
[20] M. Sıddık Gümüş: Confessions of a British Spy and British Enmity Against Islam. 13. Ausgabe, Istanbul (Hakīkat Kitâbevi) 2013, S. 75.
[21] Gorer: Exploring English Character, S. 286.
[22] Peter Mandler: The English National Character: The History of an Idea from Edmund Burke to Tony Blair. New Haven (Yale University Press) 2006. Im Kontrast dazu betrachete Arthur Bryant in: The National Character. London (Longmans, Green) 1935 den englischen Nationalcharakter als im Grunde stagierend.
[23] Daniel Defoe: The True-Born Englishman: A Satyr. In: The Novels and Miscellaneous Works of Daniel De Foe, Bd. 5, London (Henry G. Bohn) 1855.
[24] Amelia Hill: The English Identity Crisis: Who Do You Think You Are? The Guardian, 12. Juni 2004.
[25] Hume: Of National Characters. Bd. 3, S. 235.