Interview von Ralf Ostner mit Daniel Pipes
Global Review: Was betrachten Sie als die wichtigste Ursachen des jüngsten Konflikts zwischen Hamas und Israel; und warum fand er gerade jetzt statt?
Das Viertel Scheik Jarrah in Jerusalem, Ort eines Immobilienstreits |
Daniel Pipes: Es scheint so, dass die Hamas sich einen Fehltritt von Mahmud Abbas zunutze machte (Parlamentswahlen anzusetzen und dann abzusagen), um ihre Beliebtheit in der Westbank zu erhöhen. Zu weiteren Faktoren gehört wahrscheinlich das Ausnutzen eines Immobilienstreits in Jerusalem, die Administration Biden zu testen, die politische Unsicherheit in Israel auszunutzen und die Gunst Teherans zu gewinnen.
GR: Die Hamas gewann in der Westbank tatsächlich auf Kosten der von Abbas geführten palästinensischen Autonomiebehörde an Beliebtheit; heißt das, dass sie dort die Macht übernehmen und den Feuerring um Israel vervollständigen könnte?
DP: Nein. Die israelische Regierung wird alles in ihrer Macht stehende tun, um zu verhindern, dass die Hamas in der Westbank die Macht übernimmt. Das sollte reichen, um sie draußen zu halten.
GR: Stimmen Sie denen zu, die sagen Israel habe den Krieg militärisch, die Hamas habe ihn politisch gewonnen?
DP: Zum Teil. Israels militärischer Erfolg ist unbestreitbar. Das politische Schlachtfeld ist weit weniger eindeutig. Aber die wichtigste Frage lautet: Wird diese vierte Runde der Kämpfe dazu führen die Israelis dazu zu bringen sicherzustellen, dass es keine fünfte Runde geben wird? Ich denke das ist wahrscheinlich; in diesem Fall wäre die Hamas der große Verlierer.
GR: Dies ist das erste Mal, dass die Hamas es schaffte die israelischen Araber aufzuwiegeln. Was bedeutet das für Israel?
DP: Insgesamt betrachte ich das als für Israel positiv, weil es die israelischen Bürger gegenüber der bevorstehenden Krise mit ihren muslimischen Landsleuten aufweckt, etwas, das ich lange vorhergesagt habe, dem sie sich aber nicht stellen wollten.
Das brennende Ramle, 10. Mai 2021 |
GR: Die Rechte in Israel sagt, dass die bisherige Blockade des Gazastreifens zu lax war und angezogen werden muss. Die Linke sagt, dass Israel das Volk in Gaza für sich gewinnen sollte, indem sie ihr Leben verbessert, was zu einer Revolte und dem Sturz der Hamas führen könnte. Was davon oder welche andere Option befürworten Sie?
DP: Ich bevorzuge die Ansicht der Rechten. Die Sicht der Linke wurde 1993 versucht; sie heißt Oslo-Vereinbarungen und sie schlug jämmerlich fehlt. Die Palästinenser haben ein volles Jahrhundert der Geschichte, sich mehr darum zu kümmern ihren antizionistischen Leidenschaften nachzugehen als ihr eigenes Leben zu verbessern. Sie bilden die am stärksten radikalisierte Bevölkerung der Erde.
GR: Die Hamas strebt ausdrücklich die Beseitigung des jüdischen Staates an, aber wie kann sie das schaffen? Militärische Eroberung scheint illusorisch. Besteht das Ziel darin Israel zu terrorisieren, Konflikte zwischen israelischen Juden und Arabern anzuzetteln, Investitionen aus dem Ausland zu beenden, israelische Juden zu demoralisieren und sie dazu zu bringen aus Israel zu fliehen?
DP: Ja, genau das ist das Ziel, jüdische Israelis bis zu dem Punkt drangsalieren, an dem sie das Land verlassen. Zum Pech für die Hamas hat diese Taktik vollkommen versagt; die Israelis punkten auf der Glücks-Rangliste sehr hoch, genießen eine entwickelte Wirtschaft, Rechtstaatlichkeit, Demokratie und ein hohes Niveau persönlicher Sicherheit. Die Hamas scheint sich dieser Situation in ihrem Fanatismus nicht bewusst zu sein und verwendet weiter dieselben vergeblichen und abscheulichen Methoden.
GR: Die meisten außenstehenden Mächte unterstützen eine Zweistaatenlösung, genauso die israelische Linke und die PA; ist das noch von Bedeutung, wenn weder die israelische Rechte noch die Hamas sie wollen?
DP: Kurzfristig nein, die Zweistaatenlösung hat aus den von Ihnen genannten Gründen keine Bedeutung: Die meisten Israelis fürchten sie und die meisten Palästinenser wollen Israel beseitigen. Aber langfristig bietet die Zweistaatenlösung weiterhin die einzig potenziell zufriedenstellende Lösung des widerspenstigsten Konflikts der Welt. Wenn die Palästinenser eine Niederlage erleiden und nicht länger glauben, sie könnten den jüdischen Staat Israel beseitigen, dann ergibt sich die Aussicht auf eine Zweistaatenlösung. Aber bis dahin sind es noch viele Jahre oder Jahrzehnte.
Die Landkarte in der Zeit von 1949 bis 1967, als Ägypten den Gazastreifen und Jordanien die Westbank kontrollierten. |
GR: Wenn keine Zweistaatenlösung, was dann? Setzt sich die heutige Situation bis in die ferne Zukunft durch, eine Einstaatenlösung, die Rückkehr des Gazastreifens an Ägypten und der Westbank an Jordanien oder etwas anderes?
DP: Genau das sind die kurzfristigen Alternativen. Persönlich bevorzuge ich die Option mit Ägypten und Jordanien.
GR: Die Zahl der in der Westbank lebenden Israelis ist auf 450.000 angewachsen. Behindern sie eine Zweistaatenlösung?
DP: Überhaupt nicht, wenn man annimmt, dass Juden genauso in einem Palästinenserstaat leben können wie Palästinenser im jüdischen Staat leben. Eine solche Annahme ist zwingend nötig; etwas anderes zu erwarten – dass fast eine halbe Million Israelis einpacken und die Westbank verlassen müssen – impliziert, dass Juden immer noch nicht akzeptiert wurden; in diesem Fall ginge der Konflikt weiter.
GR: Sind Forderungen nach Sanktionen gegen Israel, damit es seine Siedlungen in der Westbank stoppt, inhärent antisemitisch?
DP: Ja, natürlich, bedenkt man, dass diejenigen, die solche Forderungen erheben, keine ähnlichen Forderungen an Marokko wegen der Westsahara, der Türkei wegen Nordzypern oder China wegen Tibet und Ostturkestan stellen.
GR: Bitte erklären Sie das Konzept "Sieg Israels", das von Ihnen stammt und für das das Middle East Forum wirbt.
DP: Kriege enden, wenn eine Seite aufgibt; damit der palästinensisch-israelische Konflikt endet, muss Israel eine Politik verfolgen, die die Palästinenser überzeugt, dass es keine Hoffnung für sie gibt ihre Ziele zu erreichen. Das zu tun wird offensichtlich den Israelis und noch mehr den Palästinensern nützen, die endlich beginnen können ihr eigenes Gemeinwesen, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur aufzubauen.
Daniel Pipes (DanielPipes.org, @DanielPipes) ist Präsident des Middle East Forum
© 2021 Daniel Pipes – alle Rechte vorbehalten