Das Interview führte Salvador Bernabe
Centinela: Hat der russische Einmarsch in die Ukraine eine neue internationale Ordnung geschaffen?
Daniel Pipes: Es ist zu früh das zu beurteilen. Erinnern Sie sich daran, dass George H.W. Bush 1990 eine "neue Weltordnung" verkündete, die aber nicht eintraf. Man hört jetzt viele vergleichbare Äußerungen, die stimmen könnten oder auch nicht.
Centinela: Covid-19, der Sieg der Taliban in Afghanistan, der russische Einmarsch: Man könnte sich hilflos fühlen. Wie antworten Sie als Historiker auf diese Ereignisse?
Daniel Pipes: Wiederum unter Rückgriff auf mehr als dreißig Jahre: 1989 schlug Francis Fukuyama bekanntlich "Das Ende der Geschichte?" vor, aber auch er lag falsch, weil Geschichte doch sehr bei uns ist. Seuchen und Invasionen sind Konstanten der Menschheitsgeschichte und sollten uns nicht sonderlich überraschen, auch wenn der Westen ihnen drei Generationen lang weitgehend entgangen ist.
Centinela: Solches Chaos schwächt unser Vertrauen in die ererbten Institutionen des 20. Jahrhundertes. Sollten wir sie stärken oder reformieren?
Daniel Pipes: Definitiv stärken: Der Westen erreichte im 20. Jahrhundert Höhen in Kultur und Staatsführung, die gestärkt werden müssen.
Centinela: Könnte die liberale Demokratie veraltet werden?
Daniel Pipes: Nein, sie ist ein Schlüssel in der Menschheitsgeschichte, die beste Möglichkeit für Menschen etwas zu erreichen und belohnt zu werden. Sie aufzugeben wäre, wie Technologie oder romantische Liebe wegzuwerfen.
Centinela: Betrachten Sie als Nahost-Spezialist die Abraham-Vereinbarungen vom September 2020 als Wendepunkt für die Region?
Daniel Pipes: Das sehe ich nicht so. Solange die Palästinenser weiter den jüdischen Staat Israel ablehnen, werden Beziehungen Israels zu Staaten, sogar warme Beziehungen, das Wesen des arabisch-israelischen Konflikts nicht grundlegend ändern, geschweige denn vom Nahen Osten insgesamt.
Die Macher der Abraham-Vereinbarungen winken vom Weißen Haus. |
Centinela: Müssen arabische Staaten eine Zweistaatenlösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt als Preis zum Erreichen von Stabilität und wirtschaftlichem Wohlstand akzeptieren?
Daniel Pipes: Ja, sie müssen entweder die Zweistaatenlösung oder eine andere Formel akzeptieren, die die dauerhafte Existenz eines jüdischen Staates anerkennt. Solange die arabischen Staaten es ablehnen das zu tun, sind sie zu Stagnation und Zerrüttung verdammt.
Centinela: Sind manche westlichen Regierungen mit dem radikalen Islam verbündet?
Daniel Pipes: Ja, fast alle westlichen Regierungen arbeiten mit den gesetzeskonformen Formen des Islamismus zusammen und finanzieren ihn. Islamisten sitzen in Schulauskommissionen, lehren an regierungsfinanzierten Universitäten, erhalten Subventionen für islamische Zentren, dienen in der Bürokratie und gewinnen politische Macht.
Centinela: Immigration stellt für Europa die vielleicht komplexeste Herausforderung dar; kann die Europäische Union sie lösen oder wird jedes Land seine eigene Lösung finden?
Daniel Pipes: Die EU-Bürokratie, die sehr kompetent ist die Inhaltsstoffe von Würsten zu standardisieren, ist unfähig mit einer existenziellen Herausforderung wie Immigration fertigzuwerden, also wird das den nationalen Regierungen zufallen.
Centinela: Hängt Europas Stabilität von der Stabilität im Nahen Osten ab?
Victor Davis Hanson |
Daniel Pipes: Zu einem gewissen Grad ja, aber noch mehr von afrikanischer Stabilität, weil die Immigration aus Afrika die aus dem Nahen Osten voraussichtlich weit übertreffen wird.
Continela: Sind Europa und die Vereinigten Staaten sich der Zukunftsthemen hinreichend bewusst, zum Beispiel der Migration aus Afrika und des Wettbewerbs mit China in Südostasien?
Daniel Pipes: Nein und Ja: Die Herausforderung Afrikas bleibt im Westen undeutlich, aber die Chinas ist sehr deutlich, sowohl in Südasien als auch in vielen anderen Regionen.
Centinela: Können Sie einen Autor empfehlen, der die Welt um uns herum begreift?
Daniel Pipes: Ich lerne viel davon Victor Davis Hanson zu lesen oder zuzuhören, einem amerikanischen Historiker für das antike Europa, der großen Einblick in die aktuellen Themen hat.
Mr. Pipes (DanielPipes.org, @DanielPipes) ist der Präsident des Middle East Forum.
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