Kann es einen wirklich moderaten Islam geben, der mit liberal-demokratischen Vorstellungen von Menschenrechten und Demokratie kompatibel ist? Ist der "radikale Islam" ein modernes Phänomen oder ist der Islam inhärent radikal? Das waren die Fragen, über die Daniel Pipes, Direktor des Middle East Forum, und Dr. Wafa Sultan, in Syrien geborene amerikanische Psychiaterin vor kurzem in einer Diskussion sprachen. James Taranto vom Wall Street Journal moderierte.
Herr Pipes begann damit, dass er betonte, er und Frau Sultan seien Verbündete; sie bekämpfen dieselben Gegner, nämlich die Islamisten. Sie stimmten zur Vergangenheit und zur Gegenwart des Islam überein, haben aber unterschiedliche Ansichten über die Zukunft. Frau Sultan argumentiert, dass der Islam sich nicht ändern könne, während Pipes glaubt, dass er das kann. Die Vorstellung, dass der Islam sich nicht ändern kann, ist eine essenzialistische Ansicht, die ignoriert, wie sehr der Islam sich im Lauf der Geschichte verändert hat – ein Aspekt, den er als jemand, der ihn über vierzig Jahre studiert, wertschätzen kann. Er betonte, dass viele der Anforderungen der Scharia (des muslimischen Gesetzes) in der Umsetzung unpraktisch sind, was zu etwas führte, für das Pipes den Begriff "mittelalterliche Synthese" prägte; über diese wurden Schlupflöcher entwickelt, um unpraktische Dogmen wie z.B. das Zinsverbot zu umgehen.
Im 19. Jahrhundert brach unter dem Ansturm der westlichen Einflüsse die mittelalterliche Synthese zusammen und durch mit säkulare, reformerische und fundamentalistische Anpassungen ersetzt. Die letzte davon ist die totalitäre Mentalität, die Pipes als "Islamismus" beschreibt und die die Religion zu einer politischen Bewegung machte. Und obwohl der Islamismus heute dominiert, gibt es selbst in diesem düsteren Augenblick Zeichen, dass der Islam sich wandeln kann. Zum Beispiel urteilten jüngst erst türkische Juristen, dass Frauen in Moscheen neben Männern beten können – ein kleiner, aber wichtiger Schritt für die Frauenrechte.
Frau Sultan begann ihre Argumentation mit einem Zitat des türkischen Premierministers Recep Tayyip Erdoğan, der sagte, es gäbe keinen "moderaten oder nicht moderaten Islam. Es gibt den Islam; das ist alles." Sie verfocht, dass Begriffe wie "radikaler Islam" die wahre Natur des Islam verschleiern – diese Natur sei eine politische Ideologie. Sie fügte hinzu, dass das Ziel des Islam darin besteht, die gesamte Welt der Scharia zu unterwerfen. Um ihre Haltung zu belegen, zitierte sie aus dem Koran; sie argumentierte weiter, dass die wahre Natur des Islam in der Sira (Biographie) Mohammeds erkennbar ist; diese, sagt sie, ist zur Definition des Islam geworden. Zum Bespiel macht Frau Sultan geltend, dass Mohammeds Taten – wie die Heirat mit einer Neunjährigen und viele Frauen als Konkubinen zu nehmen – bedeuten, dass es unter der Scharia keine Gleichheit der Frau geben kann.
Als sie Fragen des Publikums beantworteten, stellte Herr Pipes heraus, dass diejenigen, die argumentieren, der Islam selbst sei das Problem, den Westen ohne Lösungsmöglichkeit da stehen lassen; er fügte hinzu, dass westliche Regierungen, um den Islam wirklich zu reformieren, anfangen müssen authentische Moderate an die Macht zu bringen. Auf die Frage, welche Politik sie gegenüber der muslimischen Welt übernehmen würde, bestätigte Frau Sultan, dass der Islam reformiert werden kann und empfahl westlichen Druck auf den saudischen König als den sichersten Weg.
Herr Pipes und Frau Sultan stimmten in einigen Details überein, z.B. dass westliche Regierungen den nicht gewalttätigen Islamismus nicht begrüßen dürfen und den in muslimischen Schulen im Westen gelehrten Hass beobachten sollten. Insgesamt aber besteht Pipes darauf, dass der Islam, ohne zu leugnen, was er war bzw. ist, sich wie andere Religionen auch verändern kann und wird, während Frau Sultan pessimistischer ist.
Zusammengefasst von Aymenn Jawad Al-Tamimi.