"Nichts ist westlicher als Hass auf den Westen." Das schreibt der französische Romancier und Essayist Pascal Bruckner in seinem Buch La tyrannie de la pénitence (2006), die von Steven Randall kompetent ins Englische übersetzt und vor kurzem von Princeton University Press als "The Tyranny of Guilt: An Essay on Western Masochism" (Titel der deutschen Ausgabe von 2008: "Der Schuldkomplex. Vom Nutzen und Nachteil der Geschichte für Europa") veröffentlicht wurde. "Alles moderne Denken", fügt er hinzu, kann auf die schematische Anprangerung des Westens reduziert werden, wobei dessen die Heuchelei, Gewalt und Abscheulichkeit betont werden."
Titelbild von Pascal Bruckners "La tyrannie de la pénitence". |
Er zeigt, wie die Europäer sich selbst als "den kranken Mann des Planeten" betrachten, dessen Pestilenz jedes Problem in der nicht westlichen Welt (die er den Süden nennt) verursacht. Als der weißte Mann seinen Fuß nach Asien, Afrika oder Amerika setzte, folgten ihm Tod, Chaos und Zerstörung.
Die Europäer fühlen sich als mit einem Stigma geboren: "Der Weiße Mann hat Leid und Verderben gebracht, wo immer er hingegangen ist." Seine helle Haut signalisiert seine moralische Fehlerhaftigkeit.
Europa gebar Monster und große Theorien
Diese provokativen Aussagen untermauern Bruckners brillante Polemik, mit der er argumentiert, dass das europäische schlechte Gewissen aufgrund von Imperialismus, Faschismus und Rassismus den Kontinent bis zu dem Punkt in den Griff genommen hat, dass die eigene Kreativität abgewürgt, das eigene Selbstwertgefühlt zerstört und der eigene Optimismus dezimiert wird.
Bruckner selbst räumt Europas Defizite ein, aber er lobt es auch wegen seiner Selbstkritik: "Zweifellos hat Europa Monster geboren, aber gleichzeitig hat es Theorien ins Leben gerufen, die es möglich machen diese Monster zu verstehen und zu vernichten." Der Kontinent, dabei bleibt er, kann nicht nur ein Fluch sein, denn seine großartigen Leistungen komplementieren seine schlimmsten Gräueltaten. Das nennt er einen "Beweis für Größe".
Paradoxerweise ist es gerade Europas Bereitschaft seine Fehler zuzugeben, die den Selbsthass auslöst, denn Gesellschaften, die sich solcher Selbstprüfung nicht unterziehen, zerfleischen sich auch nicht. Europas Stärke ist daher seine Schwäche.
Obwohl der Kontinent "mehr oder weniger seine Monster überwunden" hat – wie zum Bespiel die Sklaverei, den Kolonialismus und den Faschismus – entscheidet er sich, auf den schlimmsten Teilen seiner Geschichte herumzureiten. Daher der [englische] Titel des Buches, "Die Tyrannei der Schuld". Die Vergangenheit mit ihrer Gewalt und Aggression ist in der Zeit erstarrt, eine Last, von der die Europäer niemals erwarten können, dass sie sie abwerfen.
Der unschuldige Süden?
Der Süden gilt im Gegensatz dazu immerwährend unschuldig. Sogar als der Kolonialismus in die Vergangenheit verblasste, machten die Europäer sich rechtschaffen für das Leid der einst kolonisierten Völker verantwortlich. Ewige Unschuld bedeutet die Infantilisierung der Nichtwestler; die Europäer schmeicheln sich selbst, die einzig Erwachsenen zu sein – was selbst wieder eine Form des Rassismus ist. Es bietet sich außerdem an, um Kritik zuvorzukommen.
Rund eine Million Spanier protestierten am 12. März 2004 gegen die Terror-Bombenanschläge vom Vortag – und machte für die Gräueltat ihren eigenen Premierminister José María Aznar verantwortlich. |
Wie die Bombenanschläge von Madrid und zahllose andere Gewalttaten zeigen, haben Muslime tendenziell die feindseligsten Einstellungen dem Westen gegenüber; und die Palästinenser gehören zu den feinseligsten unter den Muslimen.
Die Relegitimierung von Antisemitismus
Dass die Palästinenser mit den Juden kämpfen, den Extrem-Opfern westlicher Blutrünstigkeit, macht sie perverserweise zu einem idealen Vehikel zur Entkräftung westlicher Schuld. Was die Dinge noch verschlimmert: Während die Europäer sich selbst entwaffnen, nehmen die Juden das Schwert in die Hand und schwingen es, ohne sich zu schämen.
Europa entlastet sich von den Verbrechen gegen die Juden, indem es die Palästinenser zu Opfern erhebt, egal, wie bösartig diese handeln; außerdem stellen sie die Israelis als moderne Nazis hin, egal, wie notwendig deren Selbstverteidigung ist.
So hat die Palästinenserfrage "still und heimlich den Hass auf die Juden relegitimiert". Die Europäer konzentrieren sich mit einer derartigen Intensität auf Israel, dass man meinen könnte, das Schicksal des Planeten werde "von dem winzigen Landstrich zwischen Tel Aviv, Ramallah und dem Gazastreifen" bestimmt.
USA lösen Europa ab
Und Amerika? So, wie "Europa sich vom Verbrechen der Schoah erlöst, indem es Israel beschuldigt, so erlöst es sich von der Sünde des Kolonialismus, indem es die Vereinigten Staaten beschuldigt". Ihr amerikanisches Kind in Acht und Bann zu legen erlaubt Europa sich zu brüsten.
Bruckner seinerseits lehnt dieses bequeme Entkommena ab und bewundert das Selbstvertrauen der Amerikaner und ihren Stolz auf ihr Land. "Wo Amerika sich durchsetzt, stellt Europa sich in Frage." Er vermerkt ebenfalls, dass in Notzeiten die Verdammten dieser Erde sich beständig an die USA wenden, nicht die Europäische Union. Für ihn sind die USA "die letzte große Nation des Westens".
Er hofft, dass Europa und Amerika wieder zusammenarbeiten werden; denn wenn sie das tun, "erzielen sie phänomenale Ergebnisse". Aber seine eigenen Beweismittel zeigen auf, wie unwahrscheinlich das ist.