Wechselseitige Todesurteile, die zwischen dem Jemen und den USA wüten, werfen einen flüchtigen auf die Kriegsführung im Internet-Zeitalter.
Die zensierte Karikatur Mohammes (rechts) mit Jesus, Buddha und Joseph Smith. |
Auftritt von Molly Norris, einer Karikaturistin des Seattle Weekly, die Solidarität mit Parker und Stone zeigt, indem sie auf Facebook zu einem sarkastischen "Jeder malt Mohammed-Tag" aufrief und hoffte, dass eine Menge Karikaturisten "Comedy Centrals Botschaft des Angst habens entgegenwirken" würden. Zu Norris Überraschung, Bestürzung und Verwirrung nahmen andere ihre Idee ernst und veranlassten Facebook-Kampagnen für wie gegen ihren "Tag"; zeitweilig blockierte die pakistanische Regierung Facebook. Norris wollte mit ihrer Initiative nichts mehr zu tun haben und freundete sich sogar mit dem örtlichen Repräsentanten des Council on American-Islamic Relations an. Ohne sonderlichen Erfolg.
Anwar al-Awlaki, ein Islamistenführer im Jemen, antwortete im Juli mit der Ausgabe eines Todesurteils gegen Norris, das ungenau, aber penetrant als Fatwa bezeichnet wird. Nach Ratsuche bei der Polizei ging Norris im September nicht nur in den Untergrund, sondern "wurde zum Geist" und verschwand vollständig, einschließlich ihres Namens und Berufs.
Molly Norris, ehemalige Karikaturistin. |
Awlaki wurde 1971 in New Mexico als Kind gut muslimisch-jemenitischer Eltern mit guten Verbindungen geboren. Sein Vater Nasser studierte und arbeitete bis 1978 in den Vereinigten Staaten; dann kehrte die Familie in den Jemen zurück. Anwar ging 1991 als Student in die USA und verbrachte das nächste Jahrzehnt in verschiedenen Studienprogrammen (Ingenieurwesen, Bildung), nur, um als Al-Qaida-artige islamistische Persönlichkeit in Erscheinung zu treten, die sowohl seines ideologischen Fanatismus nach als auch seiner operationellen Verstrickung in den Terrorismus mit Osama bin Laden vergleichbar ist. Er wurde im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 9/11 verhaftet; unerklärlicherweise ließ man ihn wieder frei und erlaubte ihm in eine abgelegene Region des Jemen zu ziehen, wo er derzeit jenseits jeglicher Regierungskontrolle lebt.
US-Gesetzeshüter verbinden Awlaki mit mehreren gewalttätigen Anschlägen auf Amerikaner, darunter die Schüsse von Ft. Hood, der versuchte Bombenanschlag in einem Northwest-Flugzeug im Anflug auf Detroit und der Times Square-Bomber. Awlakis Terrorbilanz brachte ihm einen einzigartigen Ruf ein: Im April setzte ihn die US-Regierung – das ist das erste Mal in der fast 250-jährigen Geschichte der der Vereinigten Staaten – auf eine "Kill-Liste", womit er zum einzigen US-Bürger wurde, der von seiner eigenen Regierung ohne ein Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt wurde. Sowohl das Militär als auch die Geheimdienste sind hinter ihm he0;, ein nicht genannter Beamter formulierte es so: "Jeder hat ihn im Visier."
Das von Molly Norris gezeichnete Plakat. |
Dieser außergewöhnliche Austausch von Fatwas gibt Anlass zu mehreren Beobachtungen.
Erstens leben Norris und alle Amerikaner derzeit unter den "Rushdie-Regeln", die jeden abstrafen, der den Islam, Mohammed oder den Koran nicht respektiert. Mach dich über Mohammed lustig und du bist auf dich allein gestellt. Örtliche und nationale Politiker hatten nichts zu ihrer misslichen Lage zu sagen. Journalisten, die gewöhnlich scharf darauf sind, die Ihren zu beschützen, schwiegen. Keine Organisation sprang auf, um Geld zu ihrem Schutz zu sammeln.
Zweitens steht das Internet im Zentrum dieses gesamten Vorfalls. Es machte aus Norris' spaßiger Idee einen internationalen Zwischenfall, brachte die Nachricht zu Awlaki im fernen Jemen und erlaubt es ihm seine amerikanischen Agenten zu steuern. Vor kaum 20 Jahren hätte nichts davon stattgefunden.
Drittens haben das Internet und der Islamismus gemeinsam den Krieg privatisiert. Ein im Jemen lebender Amerikaner kann nach Belieben das Leben einer Amerikanerin im Bundesstaat Washington stören.
Viertens ist Awlaki eindeutig ein Terrorist, der Tod und Belästigung sät, während die "Kill-Liste" der US-Regierung defensiver Natur ist. Der eine ist bösartig, das andere moralisch in Ordnung.
Fünftens: Warum die Widersprüchlichkeit, mit der die US-Regierung sich "gezielte Tötungen" erlaubt, Israel dieses Mittel aber versagt?
Und schließlich: Awlaki steht an einer nie da gewesenen Kreuzung von Todeserklärungen, wobei er Norris noch ins Visier nimmt, während die US-Regierung auf ihn zielt. Das ist in einem islamischen Zusammenhang genauso erstaunlich, wie es das in einem amerikanischen ist. Die Grenzen der Kriegsführung werden auf neue, sonderbare und beängstigende Weise ausgeweitet.