Ich nahm heute an einem Symposium teil, das von FrontPageMagazine.com veröffentlicht wurde; darin stellte Jamie Glazov vier von uns – Soner Cagaptay, Hans-Peter Raddatz, Michael Rubin und mir – eine Reihe von Fragen zur Republik Türkei. Die volle Transkription ist hier verfügbar: Symposium: Turkey: The Road to Sharia? Ich fand, es sei nützlich meine Kommentare als Auszug zu bringen, weil sie meine Ansichten zu den Entwicklungen in der Türkei zusammenbringen, die ich andernfalls nicht niederschreiben könnte.
[Als Antwort auf Michael Rubins pauschale Aussage "Die Türkei ist ein Freund":]
Die Türkei ist ein Freund gewesen; aber ich habe entschiedene Zweifel zu ihrem zukünftigen Status. Lassen Sie mich das erklären.
Ich betrachte die Türkei als ein einzigartig anpassungsfähiges Land. Was Atatürk erreichte, dass er in dem Land in nur fünfzehn Jahren (1923-1938) so viel veränderte, ist eine einzigartige Entwicklung (mit der teilweisen Ausnahme der Meiji-Restauration ein halbes Jahrhundert früher). Er riss das Land aus einem Lebensstil heraus und drückte es hin zu einem anderen, mit beträchtlichen Folgen.
Ich betrachte Recep Tayyip Erdoğan als den Anti-Atatürk. Er ist jung genug, clever genug und populär genug, um so lange oder länger an der Macht zu bleiben wie Atatürk und Schritt für Schritt, beinahe unmerklich, die gesamte Revolution Atatürks rückgängig zu machen. Wir haben die Früchte davon bereits in seinen zweieinhalb Jahren an der Macht erlebt: Die Ablehnung der von den USA geführten Koalition zur Eliminierung des üblen Regimes Saddam Husseins, dass Mein Kampf ein Bestseller wurde und dass die türkische Öffentlichkeit zu denen gehört, die die stärksten Anti-Bush-Haltungen irgendeiner Bevölkerung der Welt einnehmen.
Ich weiß nicht, wo dieser Wandel enden wird, aber wenn die Dinge so weiter laufen, wie in den letzten paar Jahren, dann erwarte ich, dass die Türkei in nicht allzu ferner Zukunft, zusammen mit Saudi-Arabien, eher in die Kategorie der "Feinde" gehört als in die der "Freunde".
[In Antwort auf Soner Cagaptay, der mit dem oben Geschriebenen nicht einverstanden war:]
Ich bin erfreut zu erfahren, dass ein so scharfsinniger Beobachter der Türkei wie Soner Cagaptay glaubt, der "Säkularismus ist in der Türkei stark genug, dass er nicht zurückgedreht werden kann". Ich betrachte allerdings den Säkularismus als eine Arbeit in ständiger Entwicklung, das geschätzte Ideal einer eher kleinen Elite; und während die Türkei demokratischer und weniger von dieser Elite geführt wird, ein Ideal, das deutlich gefährdet ist.
Der derzeitige Antagonismus-Ausbruch gegen die USA macht mir weniger Sorgen, denn das könnte durchaus vorübergehend sein, ein Symptom momentan bestehender Faktoren. Aber ich habe nicht länger das Gefühl, das ich 1973 erstmals hatte, als ich in Istanbul lebte, dass die Türkei ein Land getrennt vom Rest des Nahen Ostens und der muslimischen Welt ist. Sie scheint sich rapide in diese Richtung zu wenden und zunehmend wie ihre Nachbarn im Osten zu werden.
Was die Demokratie angeht, so erwarte ich, dass die Islamisten, die die AKP leiten, den demokratischen Prozess so lange fahren werden, bis der Tag kommt, an dem sie nicht länger der Meinung sind, dass sie ihren Zwecken dient; an diesem Punkt werden sie die politische Teilhabe einschränken oder sogar abschaffen. Die Leute, die heute die Türkei führen, sind keine wahren Demokraten, die die Stimme des Volkes akzeptieren, sondern sanfte Totalitäre, die ihre Lektion aus dem Scheitern der Zeit Erbakans als Premierminister 1996/97 gelernt haben und das nicht wiederholen wollen. Ich habe volles Vertrauen, dass ihnen das nicht noch einmal passiert.
[In Antwort auf die drei Fragen des Moderators: Ob die AKP versuchen wird einen islamischen Staat zu errichten; wie die Politik der USA aussehen sollte; und ob ein türkischer Beitritt zur Europäischen Union im Interesse Amerikas ist:]
[1] Ich erwarte, dass die Islamisten der AKP, wenn sie sich stark genug fühlen und die Umstände stimmen, versuchen werden den Atatürk-Staat umzukehren und die Scharia in vollem Umfang einzuführen. Diese Aussicht sollte Grund für große Sorge sein.
[2] Die Optionen der USA sind nicht sonderlich attraktiv. Ein Schritt besteht darin, die Rolle des Militärs beim Eindämmen des radikalen Islam mündlich zu würdigen. Ein zweiter ist, auf eine Veränderung der Prozenthürde zu drängen, die eine Partei überspringen muss, um ins Parlament einziehen zu können und damit die riesige Mehrheit der AKP zu verkleinern.
[3] Ich war immer dafür, dass die Türkei der EU beitritt, änderte aber 2003 meine Meinung. Ich betrachte das jetzt als schlecht für die Türkei (die durch Europa stärker beeinflusst würde) und als schlecht für Europa (dessen historische Identität weiter ausgehöhlt würde).
Werden Wohlstand und Stabilität die Islamisten schwächen? Nein; es gibt keine Hinweise darauf, dass diese Entwicklungen die Attraktivität des radikalen Islam schmälern – sehen Sie sich nur seinen Erfolg in den USA an, die ein wohlhabendes und stabiles Land sind.
Mein Rat an Herrn Bush ist: Hören Sie auf die EU zu drängen die Türkei als Mitglied zu aufzunehmen; und ich würde auch die Beziehungen zu den islamistischen Herrschern der Türkei abkühlen lassen.
[In Antwort auf Michael Rubins Aussage: "Die besondere Beziehung zur Türkei ist vorbei... Es ist eine Schande, dass die türkisch-amerikanischen Beziehungen so weit gefallen sind. Ich fürchte, wir sind jenseits des Punktes, an dem eine Erholung möglich ist."]
Ich unterstütze Michael Rubins Schlussfolgerung und füge zwei Beobachtungen hinzu.
Erstens: Der radikale Islam hat viele Parallelen zu Faschismus und Kommunismus (der brutale Drang zur Macht, die totalitären Ziele, die Absicht den Westen zu besiegen), aber er unterscheidet sich auf eine wichtige Art – der radikale Islam reitet auf einer Welle international populärer Unterstützung, den die anderen Bewegungen nie hatten. Das schafft für die Bush-Administration ein Dilemma, da deren drängender Vorstoß nach Demokratie sich als einer erweist, der die Islamisten in die Lage versetzt an die Macht zu kommen. Noch schlimmer: Washington beginnt die Islamisten reinzuwaschen, sogar die Terrororganisationen unter ihnen. Die Regierung des Recep Tayyip Erdoğan stellt allerdings die am weitesten vorangeschrittene und schwierigste Form dieses Dilemmas dar. Obwohl viele ihre Augen von seinem islamistischen Hintergrund, Vordergrund und Zukunft abwenden wollen, definiert diese Ideologie Erdoğans Amtsführung. Wird die US-Regierung daneben sitzen und applaudieren, während er die Islamische Republik Türkei schafft?
Zweitens: Es gab eine Zeit, vor einigen Jahrhunderten, als der in Istanbul lebende ottomanische Padischah persische Poesie schrieb; und der safawidische Schah des Iran, der in Isfahan lebte, schrieb türkische Poesie. Ich fühle mich jetzt an dieses Nebeneinander erinnert, da die Bevölkerung von Atatürks säkularer Türkei immer stärker von den Sirenen des radikalen Islam wie den Herrschern des Islam verführt wird; während die Bevölkerung des Iran der Islamischen Republik Khomeinis leidenschaftlich ihr islamistisches Regime abschütteln und säkularer leben wollen, wie es in der Türkei möglich ist. Die Rolle der USA sollte darin bestehen diese Dynamik zu verändern, zu fragen, wie man die Türken ihrer islamistischen Neigungen entwöhnt, ohne die islamistische Erfahrung komplett zu durchlaufen.