"Der Iran ist das am stärksten von Verschwörungsdenken durchdrungene Land", erklärte ich in meinem Buch The Hidden Hand: Middle East Fears of Conspiracy (Die verborgene Hand: Der Nahe Osten fürchtet Verschwörungen). Ein ganzes Kapitel dieser Studie konzentriert sich auf die islamische Revolution von 1978/79; darin wird dokumentiert, wie "Iraner losgelöst von politischer Komplexheit die Revolution nicht als Handeln des Willens, sondern als Manifestation mysteriöser Kräfte interpretieren. Sie diskutieren weniger die Ursachen des Umsturzes als die Identität dieser Kräfte." Ein weiteres Kapitel nimmt den Krieg zwischen Iran und Irak auf. In beiden Fällen zeigte ich, in welcher Weise die Verschwörungsmentalität eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Ereignisse spielte.
Und so beobachtete ich, während sich die Ereignisse des vergangenen Monats im Iran entwickelten – ein heftiger Anstau bis zu den Wahlen am 12. Juni, die offenkundige Wahlfälschung, die massiven Demonstrationen auf den Straßen und deren gewalttätige Niederschlagung – mit besonderem Interesse die Verschwörungstheorien im politischen Leben des Iran. Zu meiner Überraschung und Freude schien ihre Rolle minimal zu sein. Ausnahmsweise beschäftigten sich die Iraner mit den Realitäten im Land statt sich ausländische Buhmänner einzubilden, die die Ereignisse im Iran manipulieren.
Das Studio des persischen Fernsehdienstes der BBC. |
Bedeutende Diplomaten einiger westlicher Staaten, die mit uns bisher in diplomatischer Höflichkeit geredet haben, haben in den letzten Tagen die Maske von ihren Gesichtern genommen und zeigen uns ihr wahres Gesicht. Sie zeigen ihre wahre Feindschaft gegenüber dem iranischen islamischen Staat und am übelsten ist die britische Regierung.
Die Menge antwortete mit dem Skandieren von "Tod Großbritannien".
Das Regime konzentrierte sich in der Folge auf den persischen Fernsehdienst der BBC, wie John F. Burns in "Persian Station in Britain Rattles Officials in Iran" (Persischer Sender in Großbritannien bringt Offizielle im Iran aus dem Konzept) erklärt:
Wie die herrschenden Ayatollahs des Iran es darstellen, ist der Hauptstoßtruppe in ihrem Land, der die Beendigung der islamischen Herrschaft plant, nicht auf den Straßen Teherans zu finden, sondern in den oberen Etagen eines gefeierten Art Deco-Gebäudes in Zentral-London. Die Verbreiter eines "totalen Krieges" gegen die Islamische Republik, wie die halboffiziellen Nachrichten-Agenturen des Iran sie genannt haben, sind eine Gruppe von 140 Männern und Frauen, die im Funkhaus der BBC arbeiten, nur einen Steinwurf entfernt vom Einkaufs-Mekka Oxford Street in London. Sie, hauptsächlich Auslands-Iraner, das ist die Belegschaft des persischen Fernsehdienstes der BBC, der erst seit sechs Monaten sendet und eine tägliche Zuschauerschaft von sechs bis acht Millionen im Iran erreicht – ein mächtiger Anteil an Zuschauern der 70 Millionen-Bevölkerung des Iran...
Die Regierung hat mehrere Auslands-Sender wegen dem herausgegriffen, was sie voreingenommene Berichterstattung nennt: CNN, das auf Englisch sendet, sowie Voice of America und die BBC, die in der Landessprache Persisch in den Iran senden. Doch der persische Kanal der BBC ist als Hauptbedrohung ausgemacht worden; zum Teil, sagen Vertreter der BBC, weil die britische Kolonialvergangenheit ihnen einen besonderen Platz in der Dämonographie des Iran eingebracht hat. Hamid Reza Moqaddamfar, der Chef der halboffiziellen Nachrichtenagentur Fars, beschrieb die Berichterstattung des Senders als "psychologische Kriegsführung" und sagte, sein Auftrag sei "die Verbreitung von Lügen und Gerüchten und die Verdrehung von Fakten".
Die pro-Ahmadinedschad-Zeitung Vatan Emrouz behauptete sogar, dass Jon Leyne, der am 21. Juni aus dem Iran ausgewiesene Teheran-Korrespondent der BBC, "einen Verbrecher" dafür bezahlt habe Neda Agha-Soltan zu töten – die junge Frau, die für die Demonstranten zur Märtyrerin wurde, nachdem sie während den Demonstrationen erschossen wurde.
Das Staatsfernsehen hat Demonstranten interviewt, die sagten, der persische Kanal habe sie beeinflusst auf die Straße zu gehen. Eine Frau sagte, der Sender habe sie und ihren Sohn inspiriert, mit Handgranaten bewaffnet das Haus zu verlassen. Eine weitere Frau sagte, der Bericht des Senders über die Angriffe der Bereitschaftspolizei auf die Demonstranten, habe sie veranlasst auf die Straße zu gehen, wo sie nach ihren Angaben feststellte, dass es die Demonstranten waren, nicht die Polizei, die "die Leute verprügelten".
Kommentar: Es ist eines, wenn die Mullahs Verschwörungstheorien aufbringen, aber eine andere, wenn die Bevölkerung ihnen glaubt. Ich lebe nicht im Iran und kann mir kein Urteil aus erster Hand über die Lage erlauben, aber ich bekomme aus den Nachrichten das Gefühl, dass die Iraner nicht länger unter dem Einfluss ihres historischen Verschwörungsdenkens leiden. Wenn das so sein sollte, wäre es ein riesiger Vorteil für das Land. (29. Juni 2009)