Ein Kommentar zu What DO Muslim Canadians Want? The Clash of Interpretations and Opinion Research.
von Christian Leuprecht und Conrad Winn
Macdonald-Laurier-Institute
November 2011Pressemitteilung: http://www.macdonaldlaurier.ca/much-good-news-and-some-worrying-results-in-new-study-of-muslim-public-opinion-in-canada/
Text: http://www.macdonaldlaurier.ca/files/pdf/What-Do-Muslim-Canadians-Want-November-1-2011.pdf
In ihrer Studie für das Macdonald-Laurier Institute "What Do Muslim Canadians Want? The Clash of Interpretations and Opinion Research" (Was wollen muslimische Kanadier? Der Zusammenprall von Interpretationen und Meinungsforschung) beginnen Christian Leuprecht und Conrad Winn mit einer Diskussion der Wege, wie man muslimische Haltungen in Kanada verstehen kann; dann gehen sie dazu über bestimmte Daten zu diskutieren. Ich werde ihrer Gliederung folgen und diskutiere die beiden Themen getrennt von einander; dem folgt dann eine Schlussfolgerung
Paradigmen zum Verständnis muslimischer Haltungen: Zu zwei der drei Paradigmen nehmen Leuprecht und Winn in ihren Hypothesen eine homogene muslimische Gemeindschaft an, wobei eine davon Muslime als westlichen Gepflogenheiten gegenüber einheitlich feindselig und die andere sie als diese einheitlich akzeptierend ansieht. Nur das dritte Paradigma, das, dem sie sich anschließen, lässt eine Vielfalt von Ansichten sehen.
Es macht offensichtlich intuitiv Sinn, dass Muslime untereinander verschiedener Meinung sind – welche Gruppe Menschen ist das nicht? Insbesondere leuchtet ein, dass sie zur Kompatibilität des Islam mit kanadischen Werten differieren; das ist in Zeiten des Jihad und der Bemühungen die Scharia (das islamische Recht) zu installieren im Westen ein Schlüsselthema.
Bevor ein Blick auf die einzelnen Umfrageergebnisse geworfen wird, muss vermerkt werden, dass in Übereinstimmung mit Stephen Schwartz vom Center for Islamic Pluralism, "der kanadische Islam moderater, vielfältiger und offener für Diskussionen ist als der amerikanische oder gar der britische." Warum ist das so? In erster Linie wegen der Natur der muslimischen Einwanderer, zu denen Prominente wie Qadiri und ähnliche Sufi-Traditionalisten gehören, heterodoxe Muslime aus dem Subsahara-Afrika sowie Säkularisten aus Tunesien und Algerien. Schwartz vermerkt als positive Schlussbemerkung: "Wir sollten froh sein, dass Kanada anders ist und einen Platz bietet, an dem muslimische Vernunft gepriesen statt abgelehnt wird."
Umfrageergebnisse: Die Umfrageergebnisse bestätigen diese kanadische Andersartigkeit, die positivere Haltung gegenüber dem Gastgeberland, als man sie bei anderen westlichen muslimischen Einwohnern findet. Sehr hohe Zustimmungsquoten für die Regierung Kanadas, die vergleichbar mit der der allgemeinen Bevölkerung ist, bietet eine Grundlage für das, was folgt, wie auch die Tatsache, dass kanadische Muslime allgemein die Auffassung ablehnen, Kanada sei ein rassistisches Land.
Ein Aspekt des kanadischen Islam: Der Umschlag von Irshad Manjjis Buch. |
Fragen zu bestimmten Vorlieben und Abneigungen offenbaren mehr Wertschätzung für Allgemeines (Demokratie und Freiheit) als für die eigenen Verhältnisse (Arbeit finden). Ich fand besonders ermutigend, dass kanadische Muslime Demokratie nicht als bloßes System zur Auswahl eines Führers verstehen, sondern als eine Mentalität und eine Art zu leben, die es dem Individuum erlaubt autonom in Freiheit zu denken und zu handeln, seine eigenen Ansichten zu entwickeln oder sich zu entscheiden sich ganz aus Politik herauszuhalten.
Arbeit zu finden sticht als Kernfrage der Umfrage des Macdonald-Laurier Institute heraus. Um ein Gefühl für die Bedenken zu bekommen, stellen Sie sich eine Bewerbung mit dem Namen Mohammed oder Fatima vor; nicht muslimische Arbeitgeber tun sich schwer muslimische Mitarbeiter einzustellen – die Gründe reichen von Terrorismus über Forderungen nach besonderen Privilegien bis zu Rechtsstreits. Zum Teil müssen Nichtmuslime ihre eigenen Vorurteile bewältigen, aber teilweise müssen Muslime die Probleme eingestehen, die sie selbst geschaffen haben und sie ernsthaft und konstruktiv angehen.
Die Frage zur Anwendung der Scharia besteht wegen ihrer wichtigen Folgen. Eine beträchtliche Mehrheit von 62 Prozent wünscht, dass auf irgendeine Weise die Scharia eingeführt wird; rechnet man den Teil des "weiß nicht/lehne eine Antwort ab" heraus, schießt dieser Anteil auf 75 Prozent hoch. Dies zeigt das vermutlich unlösbarste Problem der kanadischen Muslime auf: ihren Wunsch einer anderen Musik zu folgen. Dass 15 Prozent der Muslime wünschen, dass "Muslime von Scharia-Gerichten beherrscht werden sollen", ist besonders alarmierend; es bestätigt auch meine Einschätzung, dass Islamisten rund 10 bis 15 Prozent der muslimischen Bevölkerung ausmachen.
Die drei Prozent Al-Qaida-Unterstützer deuten auf das islamistische Hardcore-Element in Kanada hin – nicht sehr groß, aber drei Prozent einer muslimischen Bevölkerung von rund 700.000 sind etwa 20.000 Einzelpersonen mit sehr gefährlichen Sympathien und Ideen. Diese Information sollte die Einwanderungs- wie Sicherheitsbehörden gleichermaßen alarmieren und wachrufen.
Ein weiterer Aspekt: Zaynab Kahdr demonstriert auf dem Parliament Hill in Ottawa. |
Die 13-prozentige Anerkennung Israels in dieser Studie weicht von einer erwähnenswerten Einschätzung ab, die Conrad Winn 2004 übermittelte, als er nahe legte, dass ein Fünftel der muslimischen Bevölkerung Kanadas glaubt "Israel hat in so ziemlich allem Recht", doch die Zahlen unterscheiden sich nicht stark und die neue kann als Bestätigung der Größenordnung der alten betrachtet werden. So kann die Beobachtung in der aktuellen Studie auch so gesehen werden, dass "pro-israelische Gefühle manchmal als Reaktion auf antiisraelische Vehemenz geäußert werden", was die Beobachtung Winns von vor sieben Jahren wiederholt, dass [eine pro-israelische Einstellung] "sehr oft eine Reaktion gegen die ist, die sie als extremistische Führer ihrer eigenen Gemeinschaft oder in ihrem Herkunftsland betrachten".
Bezüglich extremistischer Ansichten gestehen Leuprecht und Winn Überraschung ein: "Wir erwarteten, dass praktizierend Religiöse in der Fokusgruppe radikalere Ansichten vertreten würden. Das Gegenteil war der Fall; die politisch radikalsten Ansichten wurden tendenziell von relativ säkularen Personen vertreten, die oft über höhere Bildung in den Sozialwissenschaften verfügten, während strenggläubige Muslime manchmal am deutlichsten für Kanada und Demokratie eintraten." Dieses Muster beweist, dass islamische Strenggläubigkeit selbst nicht das Problem und die politische Anschauung der Schlüssel zu diesen Haltungen ist. Säkulare können extrem und Strenggläubige können moderat sein.
Schlussfolgerung: Leuprecht und Winn stellen fest, dass zwar die von ihnen aufgedeckten Haltungen in keine der drei Paradigmen perfekt hineinpassen, kommen aber zu dem Schluss, dass die Umfragedaten "nahe legen, dass kanadische Muslime am besten in das Paradigma einer geteilten Gemeinschaft mit heterogenen Meinungen passen, wie sie von Daniel Pipes dargestellt wird."
Einerseits bin ich durch diese Schlussfolgerung zufrieden gestellt. Andererseits frage ich mich, wie man eine Gemeinschaft anders beschreiben könnte, die aus Hunderttausenden Einzelpersonen besteht. Sicher erwartet niemand von ihnen, ein Herz und eine Seele zu sein, womit impliziert würde, dass der Islam die Gläubigen in Roboter verwandelt, die ihre Fähigkeit verlieren selbstständig zu denken und stattdessen von einer Führung dominiert werden, die sie umprogrammiert. Keine menschliche Bevölkerung passt in diese Beschreibung.
Wäre diese Vorstellung eines untätigen Volks einmal überzeugend gewesen, legt doch der Aufruhr im Nahen Osten während des Jahres 2011 nahe, dass selbst Menschen, die Jahrzehnte kuschen, ein Feuer in sich behalten, das ihre Herrscher unvorhersehbar stürzen kann. Die Libyer, von denen viele annahmen, sie akzeptierten das irre Gerede Muammar al-Gaddafis, stellen sich zum Beispiel als selber denkend heraus.
Die Studie von Leuprecht und Winn offenbart eine Reihe problematischer Haltungen, vom Wunsch nach der Scharia bis zur Unterstützung der Al-Qaida, aber sie belegt auch, dass Kanada die moderateste, vielfältigste und offenste muslimische Bevölkerung des Westens hat. Das ist nicht nur ein Vorteil, auf dem man aufbauen kann, sondern legt eine potenzielle Rolle für moderate kanadische Muslime nahe, wie sie ihre Botschaft und vielleicht ihre Institutionen in andere westliche Länder tragen können.