Das Interview wurde von Andreas Karyos von der Universität Nicosia geführt. Veröffentlicht wurde es vom Cyprus Center for European and Internationale Affairs
Frage: In welchem Ausmaß, glauben Sie, beeinflusst historischer Hintergrund die Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei?
Antwort: Die geschichtliche Erinnerung beeinflusst die griechisch-türkischen Beziehungen, wie sie das mit den meisten internationalen Konflikten tut. In diesem Fall begannen die Spannungen an einem bestimmten Datum – dem 26. August 1071 n.Chr. mit der Schlacht von Manzikert, als die Türken begannen in die meisten hellenischen Landstriche einzudringen und zu erobern. Dann kam Konstantinopel 1453. In modernen Zeiten behielten Smyrna 1922, Istanbul 1955 und Zypern 1974 diesen Trend bei. Heute, fast ein Jahrtausend nach Manzikert, setzt die türkisch-libysche Vereinbarung "zur Abgrenzung der maritimen Zuständigkeitsbereiche im Mittelmeer" das fort, wobei die normalen maritimen Rechte griechischer Inseln ignoriert werden. Das macht auch Erdoğan's "Zurückeroberung" der Hagia Sophia im letzten Monat. Griechenland sollte sich Sorgen machen, dass die Türken, angestachelt von jihadistischen Motiven, die Eroberung von ganz Hellas und Zypern anstreben.
Präsident Erdoğan in der "Großmoschee Hagia Sophia" |
Frage: Was bedeutet es, dass Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland wegen Kastelorizo, einer kleinen, isolierten Insel weit östlich des Rests Griechenlands, eskaliert ist?
Antwort: Das könnte die nächste "Rückeroberung" der Türkei sein. 2012 schrieb ich einen Artikel mit dem Titel "Kastelorizo – Spannungsherd im Mittelmeer?" und acht Jahre später mache ich mir Sorgen, dass die Krise endlich bevorsteht, vielleicht während Präsident Erdoğan im Vorfeld der Präsidentenwahlen in der Türkei 2023 die Unterstützung des Volks sucht. Insbesondere mache ich mir Sorgen wegen Jack Dulgarians Szenario, dass die Regierung Erdoğan eine Invasion Kastelorizos durchführt, es rasch erobert und die Welt herausfordert etwas zu unternehmen. Die hellenischen Streitkräfte können alleine nicht viel tun. Die NATO ist ein Papiertiger. Israel wird nicht wegen einer abgelegenen griechischen Insel mit einer Bevölkerung von weniger als 500 Menschen keinen Krieg mit der Türkei führen. Aber wenn Kastelorizo bei geringen Kosten für Ankara türkisch wird, sehe ich nicht, wie man Erdoğan angesichts europäischer Schwäche und Präsident Trumps Zuneigung zu dem türkischen Diktator abhalten kann.
Die abgelegene griechische Insel Kastelorizo mit der renovierten Moschee aus dem 18. Jahrhundert. |
Frage: Was ist der Einfluss der neuen Runde griechisch-türkischer Auseinandersetzungen an der südlichen Flanke der NATO?
Antwort: Die Probleme der Türkei mit Griechenland sind nur ein kleiner Teil ihrer Streitigkeiten mit anderen NATO-Mitgliedern, besonders mit Bulgarien, Frankreich, Deutschland und den Vereinigten Staaten. Das heißt, dass Griechenland anders als in den vergangenen Jahrzehnten, wenn Athen allein gegen Ankara stand, jetzt Teil einer großen, wenn auch nicht voll entwickelten oder entschlossenen Gruppierung ist. Was die südliche Flanke der NATO angeht, so hat diese angesichts der allgemeinen europäischen Selbstentwaffnung kaum über die US-Streitkräfte hinaus existiert.
Frage: Was passiert, wenn Erdoğan syrische und andere illegale Migranten nach Griechenland drängt?
Antwort: 2015/16 diente Griechenland als Transitzone nach Deutschland, Schweden und andere Länder. Diese Situation hat geendet und Griechenland ist allgemein zu einer Endstation geworden. Wie es durch die "Hölle auf Erden" im Lager Moria auf Lesbos symbolisiert wird, hat es sich zu einem unerwünschten Ziel gemacht. Nachrichten machen schnell die Runde und Migranten, die sich derzeit in der Türkei befinden, werden weniger bereitwillig nach Griechenland aufbrechen. Das könnte die türkische Regierung veranlassen sie unter Druck zu setzen, indem sie ihre Lebensumstände verschlimmert oder sie zwingt das Land zu verlassen.
Ein Luftbild der "Hölle auf Erden" im Lager Moria auf Lesbos |
Andererseits mache ich mir große Sorgen um die Republik Zypern, die nur 160km vor Syrien liegt und eine praktisch offene Grenze zum türkisch besetzten Nordzypern hat. Bis vor kurzem haben die Regierungen Syriens und der Türkei sich seltsamerweise nicht gegen Zypern gewandt, aber das könnte sich ändern. Die Asylanträge nahmen in den vier Jahren von 2016 bis 2019 von 2.936 auf 13.200 zu, wobei die meisten Migranten über den von der Türkei besetzten Norden kamen.
Frage: Wie sehen die Aussichten auf eine dreiteilige Partnerschaft im östlichen Mittelmeer aus (Griechenland-Zypern-Israel; Griechenland-Zypern-Ägypten)?
Antwort: Die Aussichten für beide sind exzellent. Dazu haben die drei einzigen Demokratien im östlichen Mittelmeer gemeinsame wirtschaftliche Interessen – besonders das Gas – sowie Sicherheitsbedenken. (Übrigens mag ich Dmitri Schufutinskys reizenden Gedanken die Partnerschaft Griechenland-Zypern-Israel die "Achse der Antike" zu nennen.) Das Gas-Forum Östliches Mittelmeer ist wahrscheinlich noch wichtiger. Insgesamt zeigen diese neuen Gruppierungen Ankara den Preis des Agierens als Schurkenstaat.
Frage: Unternimmt Ankara etwas wegen seiner Ausgrenzung?
Antwort: Es spielt mit der Idee die Beziehungen zu Jerusalem zu verbessern, aber das widerspricht seiner islamistischen Ideologie zu sehr; darüber hinaus sind die Israelis endlich skeptisch geworden. Noch wichtiger ist, dass Ankara anstrebt alternative Partnerschaften an anderen Stellen aufzubauen, so mit Spanien, Italien verschiedenen Balkanstaaten, Libyen, Qatar, Iran, den Turk-Republiken, Russland und China.
Frage: Wie wird sich die Vereinbarung zwischen der Türkei und Libyen auswirken?
Antwort: Die Vereinbarung hat große Bedeutung für Libyen und darüber hinaus. Sie bietet den Türken zum ersten Mal in mehr als einem Jahrhundert eine direkte Rolle in Nordafrika. Ein wenig beachteter Aspekt der Vereinbarung betrifft Fayez al-Sarraj, den Leiter der von Ankara unterstützten GNA-Fraktion, der behauptet Kuloğlu, türkischer Herkunft zu sein; über ihn hinaus unterstützen die rund 20 Prozent der Libyer, die seine Ethnie teilen, die von der Türkei gestützte GNA. Wenn dieser türkisch orientierte Ansatz in Libyen Erfolg hat, dann erwarten Sie, dass Erdoğan sich auch auf dem Balkan darauf verlässt und vielleicht auch in europäischen Ländern, in die Türken ausgewandert sind.
Daniel Pipes (DanielPipes.org, @DanielPipes) ist Präsident des Middle East Forum
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